Ausschluss russischer Athleten aufgehoben Sind die Fechter nur der Anfang?
Der Weltverband erlaubt russischen und belarussischen Athleten die Rückkehr in den Sport. Das gefällt dem IOC, führt aber auch zu großem Unverständnis.
Der Weltverband erlaubt russischen und belarussischen Athleten die Rückkehr in den Sport. Das gefällt dem IOC, führt aber auch zu großem Unverständnis.
In der Welt des Sports gehörte Russland, vor der Suspendierung vieler Athletinnen und Athleten wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine, zu den führenden Nationen. Und das nicht nur, wenn es um Siege und Medaillen ging. Sondern auch hinter den Kulissen. In vielen Verbänden haben Russen das Sagen. Ein gutes Beispiel ist Alischer Usmanow (69).
Das Vermögen des Unternehmers wird auf 14 bis 16 Milliarden Euro taxiert, er gilt als einer der reichsten Männer Russlands und enger Vertrauter von Wladimir Putin. Weil er dort mehrere Villen in bester Lage besitzt, wurde er von der Boulevardpresse „Tegernsee-Oligarch“ getauft. Doch Usmanow ist nicht nur in Wirtschaft und Politik ein finanzstarker Strippenzieher, sondern auch im Fechten. In seiner Jugend las er „Die drei Musketiere“, später stand er selbst mit dem Säbel auf der Planche, seit 2009 ist er Präsident des Weltverbandes (FIE). Kurz nach Kriegsbeginn ließ er dieses Amt zwar offiziell ruhen, allerdings ist davon auszugehen, dass der Mann, der eine dreistellige Millionensumme in seinen Sport gesteckt haben soll, weiter alles im Griff hat. Dazu passt die jüngste Entscheidung.
Fechten ist die erste Sportart, in der russische und belarussische Sportler wieder zu Wettkämpfen zugelassen werden. Diesen Beschluss fällte ein FIE-Kongress mit 89 zu 46 Stimmen. Im Juni findet in Mailand die WM statt, schon im April beginnt die Qualifikation für die Sommerspiele 2024 in Paris. Deshalb hatten es die Funktionäre eilig – und sie liegen mit ihrer Entscheidung voll auf der Linie des Internationalen Olympischen Komitees.
Auch IOC-Präsident Thomas Bach ist ein ehemaliger Fechter. Ob der Olympiasieger von 1976, der als Meister der Finten und des Taktierens gilt, seine Verbindungen hat spielen lassen, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass der Herr der Ringe das Vorgehen goutiert. Bach will die Sanktion gegen alle russischen und belarussischen Athleten aufheben und sie, auch 2024 in Paris, unter neutraler Flagge, ohne Hymne und nationale Embleme starten lassen – mit der Begründung, es widerspreche den Menschenrechten, sie weiter wegen ihres Passes auszuschließen. Bisher gibt es vom IOC noch keinen Beschluss, lange wird dieser aber nicht mehr auf sich warten lassen, schließlich hat in manchen Sportarten der Kampf um die Startplätze bei den Sommerspielen schon begonnen.
Im Fechten ist nun der erste Dominostein gefallen. „Es ist ein Zeichen für weitere Abstimmungen in den nächsten Wochen in der Sportwelt“, meinte Deutschlands Fechtpräsidentin Claudia Bokel, die keine Auskunft darüber geben wollte, wie sie selbst votiert hat. Klartext sprach dagegen Lea Krüger.
Die Säbelfechterin, die Präsidiumsmitglied im Verein Athleten Deutschland ist, kritisierte deutlich, dass weitere Themen wie die Anti-Doping-Lage in Russland oder der Umgang mit Athleten aus der Ukraine nicht mal angesprochen worden seien. „Ich bin einfach nur fassungslos“, erklärte Krüger, die den Beschluss in einem „FAZ“-Interview vorhergesagt hatte: „Und wenn das bei uns passiert, passiert es bei allen. Das russische Regime nutzt den Sport schamlos aus.“ Dazu passten die Reaktionen in der Ukraine.
„Wir sind zutiefst schockiert und empört“, teilte der ukrainische Fechtverband mit, der vergeblich versucht hatte, die Abstimmung zu verhindern. Olympiasiegerin Olha Kharlan offenbarte bei Instagram ihre Gefühlslage: „Enttäuschung, Wut, Ungerechtigkeit.“ In Russland wurde die Aufhebung der Sanktion dagegen gefeiert. „Der gesunde Menschenverstand hat gesiegt“, meinte Olympiasiegerin Sofja Welikaja, die 2021 in Tokio Gold gewonnen hat, „wir werden bei Olympia unsere Motivation und Stärke zeigen wie nie zuvor.“ Nur sportlich?
Offiziell plant das IOC, keine Athleten zuzulassen, die den Krieg aktiv unterstützt haben. Alle anderen schon. Wohlwissend, dass viele Sportler dem Militär, der Polizei oder anderen staatlichen Behörden angehören. Wie das IOC die „strikte Neutralität“, die Bach verspricht, in der Praxis überprüfen will, ist offen. Erst recht angesichts der jüngsten Äußerungen von zwei Topfunktionärinnen.
Jelena Wälbe, die Präsidentin des russischen Skiverbandes, lehnt Starts unter neutraler Flagge ab. „Es ist eine Sache, wegen angeblichen Dopings oder etwas anderem Erfundenen suspendiert zu werden“, sagte sie der „ARD“, „aber jetzt haben wir eine Spezialoperation. Wir wissen alle, dass wir nicht gegen die Ukraine kämpfen, sondern gegen den Westen. Deswegen sollten die Athleten unser Land in Würde vertreten. Würdig heißt, dass zu deinen Ehren die Hymne gespielt und die Fahne gehisst wird.“ Irina Privalova, Vizechefin im Leichtathletik-Verband, räumte mit der Mär auf, der Krieg dürfe in den Köpfen der Sportler keine Rolle spielen: „Athleten, die die Entscheidung von Präsident Putin nicht unterstützen, sollten unser Land nicht repräsentieren.“
Was nur zeigt: Das Konfliktpotenzial bleibt hoch. Auch in der Welt des Sports.