Rund um die Villa Domnick, hoch über dem Neckartal bei Nürtingen, geben sich Kunst, Architektur und Natur die Hand. Vera Romeu hat dort als Hausherrin ihre Berufung gefunden – und lockt die Besucher mit immer wieder neuen Ideen.

Nürtingen - Wenn der schwäbische Nationaldichter Eduard Mörike in der Mär vom Stuttgarter Hutzelmännle seinen Helden, den Schuster Seppe, im Moment der höchsten Verzückung über den Anblick der Schwäbischen Alb auch noch in einen Honigtopf hätte fallen lassen, dann hätte der wohl auf der Oberensinger Höhe gestanden. Genau dort, wo jetzt die Villa Domnick steht und wo sich die sagenhafte Blaue Mauer in ihrer ganzen Schönheit zeigt.

 

Vera Romeu ist in diesen imaginären Honigtopf gefallen. Sie verwaltet als Hausherrin der Villa das Vermächtnis von Ottomar Domnick (1907–1989) und dessen Frau Greta. Das Stuttgarter Arztehepaar hatte sich 1967 auf der Höhe über Aich und Neckar von dem Stuttgarter Architekten Paul Stohrer ein Haus bauen lassen, um ihrer Sammlung abstrakter Malerei den passenden Rahmen zu geben.

Der Betonbungalow ist Wohnhaus und Museum zugleich

Entstanden ist ein flacher Betonbungalow, der sowohl Wohnhaus als auch Museum ist. Es spricht für die Ausnahmestellung des in ein Landschaftsschutzgebiet eingefügten und mit einem Skulpturengarten abgerundeten Gesamtkunstwerks, dass die Villa schon 15 Jahre später unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nach dem Tod des Ehepaars sind Sammlung und Villa in eine Stiftung überführt worden.

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Seit gut zwei Jahren haben die Staatlichen Schlösser und Gärten, die im Auftrag des Finanzministeriums das kulturelle Erbe des Landes bewahren, das Sagen auf dem 4000 Quadratmeter großen Anwesen. Und hier kommt Vera Romeu wieder ins Spiel. In Paris geboren, in der Kathedrale Notre-Dame getauft und in Oberschwaben aufgewachsen, hat sie nach dem Jurastudium in Paris und dem Studium der Empirischen Kulturwissenschaften in Tübingen hoch über Nürtingen so etwas wie ihre Berufung gefunden – vielleicht auch, weil sie eine Seelenverwandtschaft mit dem Sammlerehepaar verbindet. Ottomar Domnick, beruflich als Psychiater in Stuttgart mit eigener Klinik erfolgreich, war die deutsch-französische Aussöhnung eine Herzensangelegenheit. „Er war der Erste, der schon bald nach dem Krieg in Frankreich deutsche Künstler ausgestellt hat“, sagt Vera Romeu. Wie die Domnicks, so fühlt auch sie sich zu den Wegbereitern der Moderne, unter anderem Willi Baumeister, Hans Hartung und Fritz Winter, besonders hingezogen.

Die Zahl der Besucher ist auf knapp 6000 im Jahr gestiegen

Der Blick auf ihre abstrakten Werke gebe nicht nur Aufschluss über das Seelenleben der Künstler, sondern auch über den Zustand der Gesellschaft in dieser Zeit. „Diese Künstler waren unter der Naziherrschaft mit Arbeits- und Ausstellungsverbot belegt. Sie haben kein Publikum gehabt. Ihre gebrochenen Biografien spiegeln sich in ihren Werken wider. Es wäre doppelt tragisch, wenn sie jetzt vergessen würden“, sagt sie. Seit Vera Romeu die Sammlung betreut, ist die Gefahr messbar geringer geworden. Die Zahl der Besucher ist von zuvor rund 1800 auf inzwischen knapp 6000 im Jahr gestiegen.

„Kunst hat etwas zu sagen. Wir haben den Auftrag, darüber zu erzählen“, sagt sie. Beim Sommerfest seien kürzlich mehr als 100 Kinder auf dem Anwesen gewesen. Sie weiß das, weil ein Luftballonkünstler gut hundert Fantasiegebilde an sein kleines Publikum gebracht hat. Trotzdem gebe es Leute, die der abgeschiedenen Elfenbeinturm-Vergangenheit auf der Oberensinger Höhe nachtrauerten, sagt sie. Doch es sei in Domnicks Sinne, das Museum zu bewohnen und zu einem Ort des Austauschs zu machen. Davon profitiere nicht nur die Kunst, sondern auch die Architektur. „Das Museum soll für die Leute eine gute Stube sein. Ein Raum definiert sich über die Menschen. Ein menschenleerer Raum ist tot“, sagt Vera Romeu.

Die Autoleidenschaft Domnicks wird zum Thema

Dass ihr im Bemühen, die Kunst der Villa und das facettenreiche Wirken der Domnicks zu vermitteln, die Themen ausgehen könnten, ist unwahrscheinlich. Nach der Beziehung zu Frankreich, die in diesem Jahr im Mittelpunkt stand, wird 2020 die Autoleidenschaft Domnicks ein Schwerpunkt sein. Immerhin hat der Psychiater im November 1949 den ersten Porsche ausgeliefert bekommen, der auf deutschen Straßen unterwegs war. Kostenpunkt: 9850 Mark. „Damals hat die Firma Porsche noch gar kein eigenes Bestellformular gehabt. Auf dem Volkswagen-Formular ist der Herstellerschriftzug durchgestrichen und handschriftlich mit Porsche-Sport Bestellung überschrieben“, berichtet Vera Romeu.

Darüber hinaus hat sich die Nachlassverwalterin vorgenommen, die Dinge rund um Kunst, Architektur und Leben des Sammlerehepaars immer wieder neu zu befragen, je nach gesellschaftlicher Befindlichkeit. So wird es künftig unter anderem um Domnicks Rolle als Psychiater und als „Erfinder“ der modernen Arbeitstherapie gehen, um sein Wirken als Filmemacher, der mit „Jonas“ dem neuen deutschen Film den Weg bereitet hat, um die Ambivalenz der Greta Domnick zwischen Emanzipation und konservativem Rollenbild, um die Musik und den von Domnick gestifteten Cello-Preis und, und, und . . .

Aus dem Leben und Wirken des Ehepaars Domnick lässt sich noch viel Honig saugen. Rundum gute Aussichten also auf der Oberensinger Höhe.

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