Die Pfarrerin Astrid Riehle predigt ausgesprochen gern auf dem Birkenkopf. Für die Theologin und passionierte Wanderin sind Gottesdienste auf dem Stuttgarter Monte Scherbelino besondere spirituelle Erlebnisse.

Stuttgart - Der Weg ist das Ziel, und dieser Weg ist ein schöner. Munteren Schrittes spaziert Astrid Riehle den Pfad hinauf, der sich sanft in einer Spirale zum Birkenkopf hinaufschlängelt. Erst führt er durch den Wald, aber je höher man kommt, desto mehr lichtet sich das Blätterdach. Gezwitscher durchbricht das monotone Rauschen des Morgenverkehrs. „Es hat etwas von pilgern, es ist ein Anmarsch“, sagt die Pfarrerin.

 

Auf halber Höhe weiten sich die Bäume fürs erste Oha und den ersten Ausblick Richtung Vaihingen. Da geht noch was. Astrid Riehle zelebriert diesen Aufstieg. „Besonders schön ist der Sonntagszug mit der Gemeinde. Es ist schön zu merken, wie die Leute erwartungsvoll hochgehen.“

Seit März ist die 59-Jährige als Pfarrerin für die evangelische Paul-Gerhardt-Gemeinde im Westen zuständig. Zuvor war sie jahrelang als Referentin beim Stadtdekanat, wieder davor bildete sie am Pfarrseminar der Landeskirche Vikare aus. Die noch frische Stelle fühlt sich gut an, wie sie sagt, „letztlich schlägt mein Herz als Gemeindepfarrerin“. Dabei predigt sie nicht nur in der Kirche, sondern auch auf dem Birkenkopf.

Begeistert vom irdischen Ausblick

Die Gottesdienste auf dem mit 511 Metern höchsten Punkt des inneren Stadtgebiets sind für sie etwas Besonderes. „Ich glaube, der weite, offene Himmel spielt eine Rolle. Man ist dem Himmel näher.“ Nicht nur für Astrid Riehle sind die Open-Air-Andachten erhebend. Im Schatten des haushohen Metallkreuzes, das die evangelische Gesamtkirchengemeinde im Jahr 2003 aufstellen ließ, beten längst nicht nur Christen aus dem Westen, sondern auch aus umliegenden Bezirken und Kommunen. Am Ostersonntag haben die 300 Liedblätter nicht gereicht.

Wer keine höhere Macht spürt, den wird zumindest der Ausblick begeistern. Der Blick reicht bis zum Fernsehturm und den Kessel. Reicht über den Westen und die Halbhöhenlagen hinweg wieder hinauf bis weit über die Stadtgrenzen hinaus. Ist die Sicht klar, reicht sie bis zum Strohgäu, den Schwarzwald, das Neckartal, den Schwäbischen Wald und die Alb.

Weitere Aussichtspunkte finden Sie hier

Auch Astrid Riehle ist begeistert vom irdischen Ausblick. Sie sitzt auf einem Stein, stellt die Beine auf und zieht die silberfarbenen Sneakers heran. „Ich glaube, viele Menschen kommen her, um Abstand zum Alltag zu gewinnen. Das hat eine therapeutische Qualität“, erzählt sie. Berge und Natur sind ihr Ding. Die Freizeit verbringen sie und ihre Partnerin am liebsten im Grünen. „Morgens den Rucksack auf und abends nicht wissen, wo man ankommt“, sagt sie strahlend. Da geht’s mitunter mal auf 2000 Meter und höher. „Es ist schon etwas Spirituelles. Ich sage immer: Mir geht das Herz auf, wenn ich in der Höhe bin.“ Oben, auf dem Dach der weiten Welt, werde sie auf ihr „natürliches Maß verwiesen“.

Geschichtsträchtiger Trümmerberg

Der Birkenkopf ist nicht nur hoch, sondern geschichtsträchtig. Zwischen 1953 und 1957 wuchs er um rund 40 Meter, da mehr als 1,5 Millionen Kubikmeter Schutt abgelagert wurden. Trümmer aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Fassadenreste zerbombter Häuser haben dem Birkenkopf den Beinamen Monte Scherbelino eingebracht. „Den Opfern zum Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung“, steht auf einer Plakette. Astrid Riehle verharrt an den Brocken, legt kurz eine Hand auf. „Sie zeigen die Zerbrechlichkeit des Friedens und des Lebens“, sagt sie. Doch der Birkenkopf sei vor allem ein Beispiel dafür, dass es weitergehe, dass Neues entstehe. „Hoffnungsberg“, sagt sie.

Wie viel Gutes aus diesen Trümmern der Stuttgarter Geschichte entstehen kann, sieht die Pfarrerin Astrid Riehle während der Gottesdienste. „Es berührt die Leute.“ Während der Andacht können die Besucher über das Gehörte sinnieren und den Blick ins Weite gleiten lassen. Astrid Riehle, die ein Fan von Qigong und Yoga ist, will auf dem Birkenkopf Körper und Geist ansprechen. „Das Ewige kommt durch die Sinne“, sagt sie. Hören, spüren, riechen. Erde, Sonne, Wind, Schöpfung. Der Berg versorgt die 59-jährige Theologin mit allem, was sie für die Predigt braucht. Astrid Riehle lächelt. „Gott ist in allen Dingen.“

Die Aussichtspunkte präsentieren wir Ihnen in Zusammenarbeit mit dem VVS und der Regio Stuttgart Marketing- und Tourismus Gesellschaft.