Der türkische Starmusiker Fazil Say war ein Held der säkularen Erdogan-Gegner. Dann kam ein jäher Sinneswandel – den ihm viele Anhänger nicht verzeihen können.

Istanbul - Der Pianist und Komponist Fazil Say war eine Galionsfigur der westlich geprägten Oberschicht der Türkei: Im Ausland feierte er Erfolge, und in der Türkei machte er sich über den Islam und die frommen Anatolier lustig. Doch jetzt hat der Künstler seinen Frieden mit dem religiös-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gemacht. Auf Einladung von Say besuchte Erdogan die Ankara-Premiere der „Troja-Sonate“ des Musikers und lud Say in den Präsidentenpalast ein.

 

Says bisherige Weggefährten sind entsetzt und beklagen einen Kotau des Komponisten. Says „Sündenfall“ kam nach Ansicht der Kemalisten – der Anhänger des säkularistischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk – gleich nach dem Konzert in Ankara zum Ausdruck. Bilder zeigen den 49-Jährigen, wie er mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen den lobenden Worten Erdogans zuhört. Aus Says Haltung spreche „pure Feigheit“, schimpfte der Autor Ahmet Nesin, Sohn des Schriftstellers Aziz Nesin.

Erdogan gibt sich als begeisterter Fan

Mit solchen Kommentaren habe Say rechnen müssen, findet die Kolumnistin Zülal Kalkandelen von der Zeitung „Cumhuriyet“. Schließlich gehe es hier um eine Regierung, die kritische Künstler und andere Gegner verfolge und in ihren 16 Jahren an der Macht die säkulare Republik abgeschafft habe. Nun mache Say den Eindruck, dass er sich mit ebendieser Regierung arrangiert habe.

Erst vor ein paar Wochen hatte Erdogan zwei prominente Schauspieler wegen unbotmäßiger Äußerungen vorübergehend festnehmen lassen. Von Say dagegen ließ sich der Präsident sogar eine CD signieren. Says Zeit als Coverboy der säkularen Erdogan-Gegner ist damit wohl vorbei. Dabei hatte der in Ankara geborene Künstler geschafft, was sich die Kemalisten immer für ihr Land erträumt hatten: Er spielte nicht nur westliche Musik, er spielte sie so gut, dass ihm der Westen zu Füßen lag.

Die Anerkennung in der Heimat ist dem Starmusiker wichtig

Kemalistischen Beifall gab es auch dafür, dass Say in der Türkei den konservativen Anatoliern mit blanker Arroganz begegnete. Als er nach abfälligen Kommentaren über den Islam wegen Gotteslästerung verurteilt wurde und erklärte, er werde die Türkei verlassen, wurde er als Held gefeiert. Eines von Says Werken ist den Gezi-Unruhen von 2013 gewidmet, die von Erdogan als Putschversuch verteufelt werden.

Die Regierung strafte Say mit Ausgrenzung: In der Türkei wurden seine Konzerte immer häufiger abgesagt. Doch Say hängt an seiner anatolischen Heimat – er hat die Türkei nie verlassen. Trotz seiner internationalen Karriere ist es ihm sehr wichtig, in der Türkei anerkannt zu werden. Auch als er schon längst in New York, Tokio und London spielte, tourte er immer wieder durch anatolische Provinzstädte, um der Jugend seine Musik nahezubringen. Er bezieht Identität und Inspiration aus der Türkei und will sich nicht von ihr lossagen.

Gehört Say jetzt zu den artigen Staatskünstlern?

Der Wendepunkt kam nach dem Tod von Says Mutter im vergangenen August. Damals rief Erdogan an, um zu kondolieren, und Say lud ihn ein, zu einem seiner Konzerte zu kommen. Einige sehen in Erdogans Geste einen cleveren Schachzug, um einen wichtigen Künstler zu vereinnahmen und sich vor den Kommunalwahlen im März als toleranter Landesvater zu präsentieren. Says Kritiker stellen den Komponisten unterdessen in eine Reihe mit den sogenannten Staatskünstlern, die Erdogan zu Frontbesuchen in Syrien begleiten und artig Propagandalieder mit ihm singen.

Für andere bildet seine Haltung einen Kontrast zu der großer Künstler des Widerstands, etwa dem Dichter Nazim Hikmet, die für ihre Haltung Exil und Gefängnis in Kauf nahmen. Say selbst hat sich bisher nicht zu der Kritik geäußert, doch vielleicht spricht sein Vater Ahmet für ihn. Dieser sagte der Zeitung „Hürriyet“, Erdogan sei der Präsident der Türken. Eine „Atmosphäre des Friedens“ sei gut für das Land.