In der Geschichte von Lufthansa ist er einer der größten Streiks. 5400 Kapitäne und Co-Piloten bleiben am Boden. Am ersten Streiktag ist das Drehkreuz Frankfurt weitgehend angehalten. Doch die aufgestellten Feldbetten nutzt keiner.

Frankfurt - Sie sind pünktlich. Um zehn Uhr versammeln sich rund 200 Männer und Frauen in dunkelblauen Uniformen am Tor 21 am Frankfurter Flughafen. Fast alle haben ihre Sonnenbrillen auf – 22 Grad und strahlend blauer Himmel über dem bestreikten Flughafen. Sie wollen hier und heute noch einmal deutlich machen, warum sie streiken, warum an drei Tagen fast alle Flugzeuge von Europas größter Fluggesellschaft am Boden bleiben müssen. Dutzende von Kamerateams und Reportern sind da, die Aufmerksamkeit ist den Lufthansa-Piloten sicher.

 

Pünktlichkeit, das ist eine der Eigenschaften, die Werner Knorr an den Piloten der Lufthansa so schätzt. „Die Ausbildung unserer Flugzeugführer ist sehr gut, die Qualifikation extrem hoch, ihre Leistungen werden regelmäßig überprüft, auch ihre Gesundheit immer genau gecheckt“, zählt der Chefpilot der Lufthansa auf. Und dann sagt er einen Satz, der vielen seiner Kolleginnen und Kollegen gar nicht gefallen wird. „Den Aspekt der Sicherheit sehe ich nicht gefährdet“, erklärt Knorr.

Doch gerade damit hatte Ilja Schultz, der Chef der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, drei Stunden zuvor den Streik begründet. Weil sich das Management so stur anstellt und die Flugzeugführer später als bisher in Rente schicken wolle, sitzen die 5400 Männer und Frauen dieser Tage nicht im Cockpit, sondern stehen auf der Straße. 99,1 Prozent der Piloten haben in der Urabstimmung für Streik gestimmt. Also müssen doch die Argumente richtig sein, die Schultz am ersten Streiktag vor den Kameras aufzählt. Der Beruf bringe viele Belastungen mit sich, daher müsse jeder selbst entscheiden können, wann er mit der Arbeit aufhören will. „Wir können aus Sicherheitsaspekten nicht Piloten ins Cockpit zwingen, die sich nicht fit fühlen“, sagt Schultz.

Die Sicherheit steht bei der Lufthansa ganz oben

Auch Knorr, der Chefpilot, betont, dass Sicherheit für die Lufthansa ganz oben an stehe. Aber er kommt zu einem anderen Schluss als seine streikenden Kollegen. Auch die neue Übergangsversorgung, die der Vorstand den Piloten angeboten habe, sei gut, ein erhöhtes Sicherheitsrisiko kann der 57-Jährige nicht erkennen.

Es ist eine ungewöhnliche Demonstration, nicht nur wegen der Uniformen, sondern auch, weil es kaum laute Töne gibt, weil die Streikenden gelbe und blaue Luftballons in die Höhe halten, auf Tröten oder Trillerpfeifen aber verzichtet haben. Langsam zieht die Gruppe in Richtung der Konzernzentrale, wenige Hundert Meter entfernt auf der anderen Straßenseite. Auch dort kein lautes Wort, obwohl sich vom Management niemand blicken lässt. Nach einer Stunde löst sich die Gruppe auf, die Männer und Frauen in ihren blauen Uniformen verschwinden auf dem weiten Flughafengelände.

Im Terminal eins bleibt das Chaos aus. „Wir sind eben streikerfahren“, witzelt ein Mitarbeiter der Flughafengesellschaft Fraport. Es ist immerhin der dritte Streik innerhalb von sechs Wochen, der den regulären Betrieb durcheinanderbringt. Das Ausmaß dieses Ausstands ist aber außergewöhnlich. Die lange Vorlaufzeit war gut, sie hat verhindert, dass die Abflughallen jetzt überfüllt sind. Und sie war nötig, damit der Flugbetrieb am Samstag schnell wieder normal werden kann. „Wir mussten das Drehkreuz anhalten, sonst hätte es nach Streikende noch einmal 48 Stunden gedauert, bis alles wieder läuft“, erklärt Knorr, der für den Flugbetrieb zuständig ist.

John aus Cincinnati hat es eilig

Es sind nur vereinzelte Fluggäste, die noch nichts davon gehört hatten, was auf sie zukommt. So wie etwa John aus Cincinnati, der eigentlich über Frankfurt mit der Lufthansa weiter nach Rom wollte. „Wo ist denn das Terminal zwei“, ruft der mächtige Mann mit Bart und einem Rucksack auf dem Rücken. Er hat es eilig, denn er soll jetzt mit Alitalia an sein Ziel kommen – und der Flieger geht in einer halben Stunde. Schnell und unkompliziert habe ihn die nette Dame am Schalter umgebucht, erzählt er, als er im Skytrain sitzt, der beide Terminals miteinander verbindet. Dort, im zweiten Abfertigungsgebäude, ist deutlich mehr los als im Terminal eins, wo die Lufthansa der Hauptkunde ist.

Vorsorglich wurden mehr als 1000 Hotelzimmer reserviert

„Wir haben alle Möglichkeiten genutzt, unseren Gästen alternative Transportmöglichkeiten anzubieten“, liefert Werner Knorr die Erklärung dafür, warum die Konkurrenz an diesen Tagen alle Hände voll zu tun hat – „auch mit Partnern, mit denen wir sonst nicht so eng zusammenarbeiten“. Zumindest bis zum Nachmittag ist das gelungen. Die Feldbetten, die der Flughafenbetreiber Fraport für gestrandete Transitpassagiere vorsorglich aufgestellt hat, werden in der Nacht auf Donnerstag vermutlich leer bleiben, erzählt Andreas Döpper, der Leiter der Station Frankfurt der Lufthansa. Vorsorglich habe man mehr als 1000 Hotelzimmer rund um den Flughafen reserviert. „Aber auch die werden wir wohl nicht alle in Anspruch nehmen müssen“, ergänzt Döpper. Der Krisenstab hat gründlich gearbeitet. Alle Passagiere, die einen innerdeutschen Flug bei der Lufthansa gebucht hatten, würden an ihr Ziel kommen, versprach Knorr. Hauptsächlich mit der Bahn, aber auch mit Fliegern der Lufthansa Cityline oder der Tochter Eurowings, die von dem Streik nicht betroffen sind. In Europa sind zumindest die Schweiz und Österreich auch weiterhin per Luft erreichbar, weil die Konzerntöchter Swiss und Austrian Airlines nach Frankfurt oder München größere Flugzeuge als sonst eingesetzt haben.

Jede freie Leitung der Hotline wird genutzt

Nur die Telefon-Hotline macht Ärger, weil „sie einfach überlastet ist“, wie Knorr eingesteht. Man habe zwar alle Callcenter, die die Lufthansa rund um die Welt hat, so verbunden, dass jede freie Leitung genutzt wird – aber bei mehr als 400 000 betroffenen Passagieren sei einfach eine Grenze erreicht. „Bitte haben Sie dafür Verständnis“, sagt der Chefpilot.

Für den Streik ihrer Cockpit-Kollegen haben aber nicht nur die Passagiere wenig Verständnis, auch andere Lufthanseaten stehen nicht voll hinter dem Ausstand. „Natürlich haben wir viele Privilegien, und es fällt schwer, sie aufzugeben“, sagt eine Hostess im Terminal. Aber dafür würde sie  nicht so harte Geschütze auffahren. Mehr als 50 Jahre alt sei die Übergangsregelung, erklärt auch Barbara Schädler unermüdlich in die Mikrofone. Die Kommunikationschefin der Lufthansa hat schon um elf Uhr mehr als 30 Interviews hinter sich, seit fünf Uhr morgens ist sie auf den Beinen. „Wir müssen jetzt eine Regelung finden, damit die Piloten auch in Zukunft vorzeitig aus dem Flugdienst ausscheiden können, die aber finanzierbar ist und die auch den steigenden Lebenserwartungen gerecht wird“, fordert sie.

Das ist der Spagat, den künftig bei der Lufthansa ausgerechnet ein ausgebildeter Pilot beherrschen muss: Sparen ja, aber nicht zu viel. Carsten Spohr, der am 1. Mai neuer Konzernchef wird, hielt sich gestern ebenso zurück wie der noch amtierende Chef Christoph Franz. Der in die Schweiz wechselnde Franz war es, der den Sparkurs eingeläutet hat, der die Spitzenposition der Lufthansa sichern soll. Doch angekommen ist er damit bei vielen Lufthanseaten nicht. „Ich werde meine Altersversorgung nicht opfern, damit die Lufthansa höhere Gewinne einfährt“, schimpft bei der Demo ein Kapitän. Und sauer sind die Piloten auch, weil die Aktionäre wieder eine Dividende erhalten, sie aber Einbußen hinnehmen sollen.

Das Unternehmen will keineswegs nur Piloten zu Leibe rücken: Allen Lufthanseaten hat es ab 2014 die Betriebsrenten aufgekündigt und will dazu auch mit den anderen Gewerkschaften Neuregelungen verhandeln. Noch aus goldenen Hochzinszeiten stammten die Zusagen fester Betriebsrenten, die den Konzern nun immer teurer zu stehen kommen. Lufthansa will den Systemwechsel auf feste Zuschüsse anstelle verbindlicher Pensionszusagen. Das Zinsrisiko tragen dann die Beschäftigten. Auch die Übergangsversorgung für die weit schlechter als die Piloten gestellten Flugbegleiter ist gekündigt. Der Krisenstab hat alle Hände voll zu tun. Und es wird wohl nicht immer so glimpflich verlaufen wie bei den Fluglotsen, die sich am Mittwoch geeinigt haben. Sie erhalten rückwirkend zum Jahresanfang 1,8 Prozent mehr Gehalt.