Vom 12. Juni an ist in der Degerlocher Geschichtswerkstatt die Gemeinschaftsausstellung „Aufbrechen. Ankommen. Bleiben“ zu sehen. Beteiligt sind daran auch die Schreibwerkstätten der evangelischen Kirchengemeinde und des Frauenkreises sowie das Team Kultur im Gewölbekeller.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Degerloch - Große Gemüsehobel künden von ihrem jahrzehntelangen Gebrauch, dazu kommt ein selbst gebasteltes Auffangbehältnis zum Apfelpflücken oder ein Reiseführer über Stuttgart. Im Raum daneben sind Auszüge aus alten Kirchenbüchern abgebildet, ein umfangreicher Brief in Sütterlinschrift oder alte Amerika-Landkarten: Die Räume der Geschichtswerkstatt Degerloch sind prall gefüllt mit Ausstellungsdingen. Sie alle gehören zu der Gemeinschaftsausstellung „Aufbrechen. Ankommen. Bleiben“, die nach mehreren vergeblichen Anläufen nun wohl vom 12. Juni an von der Öffentlichkeit besucht werden kann. Viele Kräfte haben an diesem Projekt mitgewirkt: Die Geschichtswerkstatt, die Schreibwerkstätten der evangelischen Kirchengemeinde und des Degerlocher Frauenkreises und das Team Kultur im Gewölbekeller.

 

Migration gestern und heute

„Wir wollen zeigen, dass es Migration zu allen Zeiten gegeben hat“, so Eberhard Weiss von der Geschichtswerkstatt: „Degerlocher flohen Anfang des 19. Jahrhunderts mit Tausenden anderen Württembergern vor Armut und politischer Unterdrückung nach Nordamerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im zerstörten Deutschland elf Millionen Menschen aus den früheren Ostgebieten aufgenommen. In Degerloch entstand dadurch ein neues Stadtviertel. Als 2015 im Rahmen der Flüchtlingswelle Tausende nach Stuttgart kamen, wurde auch diese Situation mit viel Hilfsbereitschaft bewältigt.“

Ein großer Bogen also, der da in den zwei überschaubaren Räumen geschlagen wird. Da gibt es viel zu Lesen und zu Reflektieren. Wer noch Sütterlin kann, ist klar im Vorteil. Wer dies nicht kann, für den gibt es gleich daneben sehr gute Transkriptionen. Norma Müller von der Geschichtswerkstatt ist da sehr tief in die Archive eingestiegen. Sie kann jetzt Lebenslinien nachzeichnen, angefangen mit der Auswanderung, die in den Kirchenbüchern dokumentiert ist.

Intensiver Briefaustausch im 19. Jahrhundert

Und weiter geht es mit dem Briefwechsel der Familienmitglieder. Natürlich war das Interesse groß, was die Auswanderer im gelobten neuen Land so erlebten, aber zugleich gab es in der alten Heimat auch noch etliche Erbstreitigkeiten zu erledigen. Und längst nicht alle wurden in der neuen Heimat glücklich. Es ist erstaunlich, wie intensiv und ausführlich der Austausch damals schon war, und das per Brief ohne die heute üblichen Kommunikationsmöglichkeiten. Für Müller ist das erst der Auftakt von weiterer Recherche. Auch in den Exilländern wie eben in Amerika werden die Archive zunehmend digitalisiert und dadurch besser einsehbar. Hinzu kommen historische deutschsprachige Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts wie der „Pennsylvanische Staatsbote“. Die Beiträge aus den Schreibwerkstätten sind dagegen persönlicher, zum Teil schon intim. Da finden nicht die großen Ereignisse statt, sondern persönliche Glücksmomente.

Ausstellung
Die Ausstellung ist bis zum 1. August sonntags von 11 bis 17 Uhr sowie jeden zweiten und vierten Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr an der Großen Falterstraße 4 geöffnet. Die Besucherzahl orientiert sich an den Coronabestimmungen.