Drei Wochen lang wurde der Projektraum „Akku“ von Studierenden der Kunstakademie Stuttgart und der Kunsthochschule Mainz bespielt. Wir waren bei der denkwürdigen Abschluss-Performance dabei.

Stuttgart - Drei Wochen lang wurde der Projektraum „Akku“ an der Gerberstraße von Studierenden der Kunstakademie Stuttgart und der Kunsthochschule Mainz im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem Titel „Just in Time“ bespielt.

 

Den Abschluss der Ausstellungsreihe machte am vergangenen Freitag eine Performance, die den Zuschauer dazu verleitet hat, sich auf eine neue Selbsterfahrung einzulassen. Die gesamte Ausstellung war an das sogenannte Just-in-Time-Prinzip angelehnt – ein Organisationskonzept aus der industriellen Fertigung, bei dem nur das Material in genau der Stückzahl und zu exakt dem Zeitpunkt produziert und geliefert wird, wie es auch tatsächlich zur Erfüllung der Aufträge benötigt wird. Die einzelnen Ausstellungen fanden dabei eng nacheinander getaktet statt und hatten immer eine kurze Dauer von jeweils nur zwei oder drei Tagen.

Thematisch waren die einzelnen Ausstellungen der Klassen von Prof. Birgit Brenner von der Kunstakademie Stuttgart und Prof. Sabine Groß von der Kunsthochschule Mainz zwar nicht aufeinander abgestimmt, trotzdem war es am Ende eine runde und vor allem erfolgreiche Sache, die sich hier im Gerberviertel abgespielt hat.

Abgeschlossen wurde das Projekt mit einer Performance mit dem Titel „Marmortherapie“ von den Studentinnen Laura Fröhlich, Julia Kothe, Selina Ruffing und Lili Weyrich. Ein Erfahrungsbericht:

Wellnesswahn

Slogans wie "You feel the wellness" lassen vermuten, dass die Performance etwas mit einer entspannenden Behandlung zu tun haben muss. Beim Betreten des Projektraums wird man gleich vom bewusst ausdruckslosen und kalten Blick des „Praxispersonals“ am Empfangstresen mit einem kurzen Kopfnicken begrüßt. Das Personal, das hier von den vier Künstlerinnen verkörpert und gespielt wird, trägt von Kopf bis Fuß weiße Kleidung und einen weißen Arztkittel. Ein ungewohntes Bild, aber wir machen den Spaß mal mit. Die „Marmortherapie“ verspricht dem Besucher eine individuelle, heilende und entspannende Therapiesitzung mitten in unserem Alltag. Der Warteraum ist clean und die pseudo-entspannende Loungemusik verbreitet ein eher mulmiges Gefühl, als dass sie einen auf eine Wellnessbehandlung vorbereitet, wie wir sie uns eigentlich vorstellen. Man bekommt erst mal keine Information zur bevorstehenden Therapie und setzt sich deshalb dann doch etwas verloren an den Rand des Raumes zu den anderen Wartenden.

Die Therapie

Nach einer Weile trauen wir uns, uns in den „Behandlungsraum“ zu begeben. Dort wird man von den zwei „Therapeutinnen“ in ihren schicken weißen Kitteln empfangen, so langsam wird das Gefühl dann doch sehr mulmig und wir fragen uns ernsthaft, was jetzt passieren wird. Eine kratzige Computer-Stimme vom Band erklärt uns, was zu tun ist. Nachdem man sich auf die cleane Behandlungsliege legt, wird man gebeten die Augen zu schließen. Die Stimme aus den Boxen leitet eine Meditation ein, was mit der vermeintlich entspannenden Musik im Hintergrund und der Ungewissheit, was jetzt genau passiert, dann wieder mal ein unruhiges Gefühl in uns verbreitet.

Es heißt, die Meditation zielt auf das „Finden der idealen Schwere“ ab. Zum Ausgleich des inneren Ballasts, der im eigenen Körper zu finden ist, wird einem jetzt auf den Bauch eine schwere Marmorplatte gelegt. Die Platte bleibt einige Zeit auf der Körpermitte liegen, während man sich auf sein Empfinden konzentrieren soll. Dann tun wir das doch mal, immer noch hin- und hergerissen zwischen Staunen, Zweifeln und Schmunzeln. Das entspannte Atmen fällt mit dem schweren Ding auf Bauch und der Lunge sehr schwer, das Herzklopfen wird heftiger und die treibenden Beats der Musik im Hintergrund lassen das Herz sogar noch schneller pumpen. Nach vier Minuten ist die „Therapiesitzung“ dann auch vorbei und jeder Besucher hat seine ganz eigene Erfahrung in dieser Zeit gemacht. Wir wissen noch nicht so recht, was die Selbsterfahrung in uns ausgelöst hat, aber etwas stolz sich auf das Ungewisse eingelassen zu haben, ist man schon.

Wir haben nachgefragt

Die Performance gibt dem Besucher einen Denkanstoß zum heutigen Gesundheits- und Entschleunigungs-Hype – einem Trend, bei dem wir uns mit dem vermeintlichen Ziel sich zu entspannen und den eigenen körperlichen und geistigen Zustand zu optimieren eigentlich sogar nur noch mehr unter Druck setzen. „Wir deuten nicht mit dem Zeigefinger auf die Fehler in unserer Gesellschaft und sagen nicht was besser zu tun wäre, denn auch wir schließen uns dem Wellness-Hype an, auch wir sind mitten in die Gesellschaft integriert und sehen uns im Hamsterrad von Yoga- zu Massageterminen rennen“, erklärt Selina, eine der vier Künstlerinnen, die also doch nicht ganz so gesellschaftskritisch an die Sache rangehen, wie wir das zuerst vermutet hatten.

Die Studentinnen bieten dem Betrachter mit ihrer Performance die Möglichkeit zur individuellen Selbsterfahrung mitten im Alltag der heutigen Welt. Wir alle sollen leistungsstärker sein und versuchen durch terminierte Wellnessmaßnahmen eine Art „Burn-Out-Vorsorge“ zu betreiben, was an sich ja schon etwas schräg ist. Dass wir unseren Körper und Geist fast schon ausbeuten haben wir immerhin gelernt und dass diese „Marmortherapie“ irgendwas in einem auslösen kann auch. Zumindest hat uns dieses Kunstprojekt zum Nachdenken verleitet – jetzt erst mal etwas Ausruhen vom Ausruhen, Kunst kann anstrengend sein, besonders wenn man sich dabei entspannen soll.