Wer den Namen Baselitz hört, denkt an Bilder, auf denen die Menschen kopfüber hängen. Doch das ist nur der halbe Baselitz. Eine großartige Schau in Frankfurt zeigt, wie gerade das Frühwerk viele Überraschungen birgt: Der Künstler sieht sich mitten im deutschen Dreck.

Frankfurt am Main - Sie schleppen sich ab: an den Tornistern, den Fahnen, dem ganzen erdfarbenen Schmutz und Schlamm, aus dem sie gemalt scheinen. Manchmal strauchelt einer, doch die Füße bleiben immer auf der Erde. So mächtig wie hier war die Schwerkraft später nicht mehr im Werk von Georg Baselitz. 1969 wurde der Künstler bekannt, indem er die Motive um 180 Grad drehte und die Figuren von oben ins Bild hinunterhängen ließ. Eine kalkulierte Irritation, leicht wiedererkennbar und offenbar genau das, was Kunstsammler mögen. Baselitz gilt heute als teuerster deutscher Maler nach Gerhard Richter, obschon sich sein Werk zuletzt etwas im Selbstzitat verloren hat. Hier noch eine Holzskulptur, dort eine Übermalung oder ein Hitlerbärtchen – das waren gefühlt die einzigen Variationen, die der Künstler seiner Erfolgsmasche hinzugefügt hat.

 

Doch vor der Kopfstehmalerei gab es noch einen anderen Baselitz. Einen, der nicht nur in seinen formalen Gestaltungsgesten wild und anders war, sondern auch in der sperrigen Monumentalität einer gegen die offizielle Historie selbst gerichteten Historienmalerei. Und dieser Baselitz wird nun in Frankfurt wiederentdeckt. Unter dem Titel „Die Helden“ vereint das Städel Museum den gleichnamigen Zyklus von 1965/66 mit weiteren frühen Arbeiten des heute 78-Jährigen. Gemessen am Gesamtoeuvre ist dieser Ausschnitt zahlenmäßig gering, doch er arbeitet im Bewusstsein des Betrachters stärker nach als fast alles, was Baselitz später geschaffen hat.

Max Hollein, der Ende Mai nach San Francisco verabschiedete Ex-Hausherr, hat die Schau als sein Abschiedsgeschenk an die Frankfurter noch selbst kuratiert. Es sind Schlüsselwerke eines bewegten Jahrzehnts, die da in luftiger Hängung auf zwei Etagen ausgebreitet werden. Mit 27 hat Baselitz den Startschuss für mehrere neue Entwicklungen in der westdeutschen Gegenwartskunst gegeben. Die Aufarbeitung der Nazizeit bei Anselm Kiefer und dem frühen Markus Lüpertz, aber auch manche koloristische Ferkelei der „Neuen Wilden“ erscheint nach dem Besuch ein Stück weit weniger revolutionär.

Abgeschlagene Köpfe, verbrannte Erde

Verschlissen, verschmiert, vereinsamt – Baselitz‘ „Helden“ sind die letzten versprengten Reste einer geschlagenen Truppe, der das Haupt schon abgeschlagen wurde. Darauf deuten die proportional oftmals viel zu kleinen Köpfe und die verbrannte Erde der Landschaftskulissen hin. Gleichwohl greift das Grundprinzip der Bilder jenen Kompositionstyp auf, in dem Herrscher und Hochdekorierte seit der Renaissance gemalt zu werden wünschten: ganzfigurig, im kolossalen Hochformat.

Baselitz aber lässt nicht die Feldherren, sondern das desolate Fußvolk aufmarschieren. Der überlieferten Heldendarstellung, die sich die Nazis für ihre trommelnde Durchhaltekunst geborgt hatten, wird die pathetische Fassade weggerissen. Übrig bleiben Körperruinen aus geschundenem Fleisch – gern mit offener Hose und obszön verwachsenen Genitalien. Im Elan des Aufbegehrens gegen heroische Traditionen liegt bereits etwas von 1968 in der Luft, zugleich denkt man fortwährend: Eigentlich hätten diese Bilder schon 1945 gemalt werden müssen. Ausgerechnet der Kriegsheimkehrer, der „Moderner Maler“ getauft wurde, hat sich so soldatisch derb hingehockt, als wolle er sein Geschäft verrichten. Eine unsaubere Mahnung an die biedere Wirtschaftswunder-BRD, sich endlich ihrer „Scheißvergangenheit“ zu stellen.

Krieg der Kunstsysteme

Ein großer Gewinn sind auch die Prosaskizzen von Alexander Kluge im Katalog. Ohne sich auf Bildbeschreibungen im engeren Sinne einzulassen, vertieft der Autor die Malerei durch assoziative Erinnerungsbilder über Brutalität und Absurdität des Krieges. Vor allem ein wiederkehrendes Begleitrequisit auf vielen Gemälden, die hölzerne Schubkarre, wird dank Kluge erschreckend konkret: mit solchen Karren wurden die Erschossenen zu den Massengräbern, die Vergasten in die Öfen gebracht.

Doch die „Helden“ sind nicht nur Wiedergänger des Krieges, sondern auch geschundene Kinder der deutschen Nachkriegsfrage und eng mit Baselitz‘ eigener Biografie verknüpft. Wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ war der Sachse in den 50er Jahren vierkantig von der Ostberliner Kunsthochschule geflogen.

Im Westteil der Stadt, wo er sein Studium beim Informel-Granden Hann Trier fortsetzte, stellte der Student enttäuscht fest: In ästhetischen Fragen bot die vermeintliche Freiheit der BRD nur eine andere Form von Abhängigkeit. Er ahnte, was man heute weiß: Dass die westdeutsche Nachkriegsabstraktion massiv von den Amerikanern protegiert wurde, die in jeder Form figürlicher Malerei Sozialistischen Realismus und damit Feindpropaganda witterten. Und mitten in diesem Krieg der Kunstsysteme stand wie Herkules am Scheideweg der junge Baselitz.

In Frankfurt werden seine Anfänge auch als Frucht einer desorientierten Genialität erfahrbar, die nicht recht weiß, wohin mit all ihrer Schöpfungskraft, und die deshalb den Suchprozess selbst zum Thema macht. Und in diesem Durcheinanderwirbeln der Richtungen liegt das über ihre Zeit hinaus unbequeme dieser Kunst. Sie ist politisch und unpolitisch zugleich. Sie reibt sich an Ideologien wie an Vorbildern von Courbet bis Schiele und setzt dabei eine permanente Grundstörung frei. Sind es wirklich deutsche Soldaten? Einer heißt „Partisan“, ein anderer ironisch „Hirte“.

Wer ist hier Soldat, wer Künstler?

Je länger man in der Ausstellung verweilt, umso deutlicher wird, dass es sich nicht zwangsläufig um militärische Kämpfer handelt. Etwa jener einbeinige Held, der sich „Versperrter Maler“ nennt. Seine linke Hand hält Palette, Pinsel und Krücke gleichzeitig, während die Rechte blutet wie beim gekreuzigten Christus. So musste es wohl kommen: Der Künstler als Märtyrer, zurück aus dem großen Debattenkrieg zwischen Abstraktion und Figuration. Aus den Zeitbildern sind Selbstporträts geworden.

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