Im Haus der Geschichte in Stuttgart ist die Ausstellung „Fastnacht der Hölle“ eröffnet worden. Durch fünf Sinnesstationen und verschiedene multimediale Elemente bekommen die Besucher einen intensiven Eindruck von den Schrecken des Ersten Weltkrieges.

Stuttgart - Wir schreiben das Jahr 1916. Die Schlacht um Verdun ist in vollem Gange. Ein junger Soldat liegt im Schützengraben und denkt an seine Liebste in der Heimat. Der scheußliche Gestank von Krankheit, Tod und Giftgas steigt in seine Nase. Als er aufblickt, entdeckt er zwei seiner Kameraden, die mit einem Fernglas vorsichtig aus dem Schützengraben blicken. Plötzlich ertönt ohrenbetäubendes Trommelfeuer, dicht gefolgt von dem unverkennbaren Geräusch eines Schrapnells. Danach kehrt Stille ein.

 

Der Erste Weltkrieg sprengt alle Maßstäbe der menschlichen Wahrnehmung – und dennoch haben es sich die Macher der Großen Landesausstellung „Fastnacht der Hölle – Der Erste Weltkrieg und die Sinne“ zur Aufgabe gemacht, die Schrecken der Kriegszeit für die Besucher erlebbar zu machen. „Der Erste Weltkrieg war der Beginn allen Unheils danach – in mancher Hinsicht bis heute“, sagte Museumsleiter Thomas Schnabel am Donnerstag. „Menschen verloren in sinnlosen Schlachten ihre Individualität, sie wurden massenhaft wie Material verheizt.“ Es sei wichtig, sich damit auseinanderzusetzen und sich von der typisch deutschen Fixierung auf den Zweiten Weltkrieg zu lösen.

Die Gerüche des Schützengrabens erleben

In zwei Jahren Vorbereitungszeit haben die Ausstellungsleiterin Paula Lutum-Lenger und ihr Team eine interaktive Ausstellung konzipiert, in der es um mehr gehen soll als die Aneinanderreihung historischer Exponate: „Wir rücken mit den Sinneserfahrungen die existenzielle Dimension dieses gewaltigen Kriegs ins Zentrum“, erklärt Lutum-Lenger. Die Besucher erfahren schon beim Betreten der Ausstellung an den fünf Sinnesstationen, wie Krieg riecht, schmeckt und sich anfühlt: In zwei Laborgläsern sind die Gerüche von Phosgen-Gas und eines typischen Schützengrabens eingeschlossen, die man noch Stunden später in der Nase hat. An einer anderen Station erwartet den Besucher eine kleine Stärkung: Zwiebacks, gebacken nach Kriegsrezept – ohne Milch, Fett und Eier. Um die Illusion perfekt zu machen, setzt das Museum zudem eine moderne 3-D-Brille ein, die Besucher virtuell auf das Schlachtfeld von Verdun befördert. „Diese Tragödie für die Menschen unserer Zeit erfahrbar zu machen ist wichtig. Der Weg über die Sinne lässt uns das spüren, was damals abgelaufen ist. Wir werden zu Zeugen des Geschehens“, so Manfred Fuchs, Vorsitzender des Fördervereins des Hauses der Geschichte.

Multimedial geht es indes nicht nur an den fünf Sinnesstationen zu: Mit Hilfe eines speziellen Projektionsverfahrens, das unter Aufnahme eines historischen Illusionstricks mit Spiegeln („Pepper’s Ghost“) entwickelt wurde, werden Zitate aus Briefen und Berichten scheinbar in die Luft über die Objekte geschrieben. Dabei wird mittels eines beschichteten Flachglases und einer speziellen Beleuchtung der Eindruck erzeugt, teilweise durchsichtige Objekte würden erscheinen und verschwinden. Eine Vielzahl historischer Filmausschnitte, Fotos und Illustrationen ergänzt die Exponate in den drei Großvitrinen.

Ausstellung ist in drei Bereiche gegliedert

„Der Krieg klingt, riecht oder schmeckt anders an der Front als in der Etappe und in der Heimat“, erklärt Paula Lutum-Lenger. „Um dem Rechnung zu tragen, haben wir auch die Ausstellung in diese drei Bereiche aufgeteilt.“ Unter den Exponaten befinden sich dabei Gegenstände, die man auf einem Schlachtfeld für gewöhnlich nicht suchen würde – etwa ein Flakon Eau de Cologne, der bei Ausgrabungen gefunden wurde. Soldaten tränkten ihre Jacken mit dem Duft, um den Gestank in den Schützengräben zu übertünchen. Ebenfalls zu sehen sind die 1396 Feldpostbriefe von Adolf Mann, dessen Geschichte die Stuttgarter Zeitung in der Serie „Liebe Daisy“ erzählt. Ihren Titel verdankt die Sonderausstellung derweil dem Frontsoldaten und Schriftsteller Ernst Jünger. Er beschrieb seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg mit einer Mischung aus Faszination und Grauen als „Höllisches Inferno“, „Höllenmusik“, „Höllenfeuer“ – und „Fastnacht der Hölle“.

Am Ausgang gelangen die Besucher wieder zurück in die Gegenwart: Ein Projektor zeigt aktuelle Luftaufnahmen von den Schützengräben in Frankreich. „Wie man sieht, ist inzwischen Gras über die Geschichte gewachsen – aber die Narben bleiben“, so Lutum-Lenger.