Kunst vom Dach der Welt: nach zwei Jahren mbauphase eröffnet die Tibet-Abteilung der Stuttgarter Völkerkundesammlung wieder.

Stuttgart - Mehr als zwei Jahre lang war die Tibet-Abteilung im Linden-Museum geschlossen. Eine Zeit, in der Inés de Castro, die Direktorin des Stuttgarter Museums für Völkerkunde, immer wieder gefragt wurde, wann der Bereich wieder eröffnen wird. „Wir haben gemerkt, dass sehr viel Interesse da ist“, erzählt de Castro. Auch Georg Noack, der neue Kurator für Süd- und Südostasien, habe deswegen zahlreiche Anrufe erhalten, wie er berichtet. „Tibet ist ein Reizwort, das mit sehr vielen Vorstellungen und Ideen verbunden ist“, erklärt Noack die Begeisterung für das asiatische Hochland am Rande der Achttausenderkette des Himalajagebirges, das auch durch die politische Auseinandersetzungen mit China immer wieder im Zentrum des Interesses steht. Darum war es ihm ein Anliegen, die Abteilung neu zu gestalten. Von heute an wird die Ausstellung „Tibet – Kunst vom Dach der Welt“ den Besuchern als Teil der Süd- und Südostasien-Dauerausstellung wieder zugänglich gemacht.

 

Gezeigt werden mehr als hundert Kunstobjekte aus der Zeit vom 13. bis ins späte 20. Jahrhundert, allesamt geprägt vom tibetischen Buddhismus. Dieser erstreckt sich nicht nur über Tibet, sondern umfasst auch Bhutan, Nepal, die Mongolei sowie einige Regionen Nordindiens und Chinas. „Der tibetische Buddhismus ist eine besondere Form des Buddhismus“, sagt Noack. „Er sucht eine Abkürzung des langen und schwierigen Weges zur Erlösung“, erklärt der Ethnologe und nimmt damit Bezug auf das höchste Ziel der asiatischen Lehrtradition, die ihren Ursprung in Indien hat: den Kreislauf der Reinkarnation zu durchbrechen, also nicht mehr wiedergeboren zu werden.

Gebetsmühlen, Glocken, Messer

Helfen sollen den Gläubigen dabei transzendentale, nicht menschliche Wesen wie Götter, Gottheiten und Dämonen – etwa Mahakala. Eine Maske der Gottheit mit dem zornigen Gesichtsausdruck, die als Schutzgott der buddhistischen Lehre gilt, ist in dem neu eingerichteten Raum ausgestellt. Daneben reihen sich in gläsernen Schaukästen zahlreiche Buddha-Statuen und Mönchsfiguren aus Bronze. „Die verschiedenen Meister, die nach Tibet gekommen sind und dort die Schulen des tibetischen Buddhismus geprägt haben, werden oft in der Kunst dargestellt“, erklärt Noack. Auch Erleuchtungswesen aus geschnitztem Elfenbein und Weltenhüter aus Pappmaché spielen hier eine große Rolle. Einige der Objekte hat der österreichische Forschungsreisende Hans Leder im Auftrag des Linden-Museums zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Tibet nach Stuttgart geschickt – kurz bevor im Zuge einer kommunistischen Revolution fast alle religiösen Kunstwerke in Tibet zerstört wurden.

Eine weitere Vitrine widmet sich den religiösen Gebrauchgegenständen des Buddhismus. Dazu zählen Gebetsmühlen, Glocken oder rituellen Messer, mit denen die Mönche Dämonen und Gottheiten wie Mahakala zu ihren Gunsten zähmen. An den Wänden hängen Malereien, auf denen Buddhas, Heilige und Schutzpatrone abgebildet sind. Zum Teil sind die gut erhaltenen Bilder mehr als siebenhundert Jahre alt.

Trommeln aus Schädelknochen

Neben Ausstellungstücken aus dem Bereich der bildenden Künste führt die Schau auch in die Welt der darstellenden Künste Tibets. Zu sehen sind Masken und Kostüme der rituellen Cham-Tänze, bei denen die tibetischen Mönche in Darbietungen, die sich über mehrere Tage erstrecken, Gottheiten und andere Figuren der buddhistischen Mythologie darstellen. „Die Mönche begeben sich so tanzend in höhere Ebenen, in denen Erfahrungen möglich sind, die ein ,normaler‘ Mensch nicht machen kann“, erläutert Noack das zeremonielle Schauspiel. Außerdem, so der Südostasienwissenschaftler, soll den Zuschauern die jeweiligen Funktionen der Götter auf diese Weise deutlich gemacht werden. Auch Musikinstrumente, darunter Trommeln und Becken, mit denen die Tänze begleitet werden, sind ausgestellt. „Manche der Trommeln sind aus Schädelknochen bedeutender Mönche gefertigt worden“, erklärt Noack. An einer Medienstation können die Besucher den Klängen der Instrumente lauschen.

Im Zentrum des Himalajabereichs steht der Nachbau eines tibetischen Tempels. Die rund zwanzig Quadratmeter große Nachbildung zeigt einen Raum, der sonst nur für tibetische Mönche zugänglich ist, in dem sie meditieren, studieren und diskutieren. 1986 hat ihn der vor sieben Jahren verstorbene tibetische Künstler Namgyal G. Ronge gebaut und kunstvoll bemalt. Ronge musste vor den chinesischen Besatzern aus Tibet fliehen und fand auf der Schwäbischen Alb eine neue Heimat. Der Einmarsch der Chinesen in Tibet im Jahr 1951 nahm auch Einfluss auf die religiöse Kunst. Bis dato prägte der tibetische Buddhismus die Kunst in der Himalajaregion entscheidend mit. „Mittlerweile“, sagt Noack „bewegen sich die Künstler auch in westlichen Genres.“