Anlässlich des Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zeigt das Stadtarchiv Stuttgart ab 10. Juni die Ausstellung „Bloch & Guggenheimer – Stuttgarter Bauten und jüdisches Leben“. Im Fokus steht das Schaffen der Architekten Ernst Guggenheimer und Oscar Bloch.

Stuttgart - In der Angelegenheit eilte es: Nur fünf Tage nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 ergeht eine Anweisung des städtischen Polizeiamts an den Hausmeister des jüdischen Gemeindehauses in Stuttgart: „Da der bauliche Zustand der vollständig ausgebrannten Synagoge für Menschen und fremdes Eigentum gefährlich ist, ist das Bauwesen vollständig abzubrechen“, heißt es in dem Schreiben vom 15. November. Eine der beiden Kuppeln der ausgebrannten Stuttgarter Synagoge ist eingestürzt, die Außenmauern sind jedoch weitgehend unversehrt. Knapp drei Wochen später, am 7. Dezember, vermeldet das Architekturbüro des jüdischen Architekten Ernst Guggenheimer Vollzug: „Ich melde Niederlegung und Abbruch der Synagogenmauern, Hospitalstrasse No. 38 an und bitte um Ausstellung einer Bescheinigung, die von dem diensttuenden Herrn Wachtmeister heute einverlangt wurde“, schreibt Guggenheimer an das zuständige Stadtplanungsamt. Die jüdische Gemeinde hatte den Stuttgarter Architekten mit Abbruch der Synagogenruine beauftragt. Einige junge Männer, die während des Pogroms verhaftet wurden, mussten die demütigende Arbeit unter seiner Leitung verrichten.

 

Erst mussten sie die alte Synagoge abreißen, dann durften sie die neue errichten

„Bauakten“, sagt Stadtarchivleiter Roland Müller, „führen immer auch über das Bauen hinaus.“ Selten freilich auf so bedrückende Weise. Jener Ernst Guggenheimer, der 1909 in Stuttgart gemeinsam mit dem Schweizer Juden Oscar Bloch ein Architekturbüro gegründet hatte, das fortan nahezu ausschließlich für jüdische Bauherren in Württemberg tätig war, wurde Anfang der 1950er-Jahre mit der Errichtung einer neuen Synagoge beauftragt – an der Stelle der alten. „Ich selbst“, sagte Guggenheimer anlässlich der Einweihung des neuen jüdischen Gotteshauses am 13. Mai 1952, „erblicke in diesem Bau die Krönung meiner Lebensarbeit“. Das Konzept für das Bauwerk hatte sein Kompagnon Bloch, der bereits 1937 an einer Blinddarmoperation verstorben war, schon Anfang der 30er Jahre formuliert: „Die Gottesverehrung und die Selbstbestimmung brauchen keine Pracht, sondern verlangen Schlichtheit.“

Anlässlich des Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zeigt das Stadtarchiv Stuttgart ab 10. Juni die Ausstellung „Bloch & Guggenheimer – Stuttgarter Bauten und jüdisches Leben“. Der Titel der Schau im Hof des Stadtarchivs beschreibt das Programm der Ausstellung: Denn mit dem architektonischen Erbe, das der 1881 in Zürich geborene Bloch und der 1880 in Stuttgart geborene Guggenheimer der Stadt hinterlassen haben, will das Stadtarchiv auch „die Verbindungslinien von den Bauwerken zum jüdischen Leben aufzeigen“. Dabei stehen die Quellen, von den Bauakten bis zum Nachlass der Architekten, im Fokus.

Auch nach der Machtergreifung Hitlers durften Bloch und Guggenheimer noch bauen

Überraschen dürfte, dass die Juden Bloch und Guggenheimer auch nach 1933 noch tätig waren, obwohl sie sich ab 1927 in ihrer Architektur dem Funktionalismus der Neuen Sachlichkeit zugewandt und mit ihren Flachdachhäusern ab 1933 die Kritik der neuen Machthaber auf sich gezogen hatten. So errichtete das Architekturbüro noch 1934 eine jüdische Schule in der Hospitalstraße. Auch mit dem Umbau von Häusern zu jüdischen Altenheimen wurden die Architekten beauftragt.

Jetzt gibt die Ausstellung, die auf einer Buchveröffentlichung des Stadtarchivs zu Bloch und Guggenheimer aufbaut, die Möglichkeit, noch bestehende Bauwerke der beiden Architekten in Stuttgart wiederzuentdecken: etwa Wohnhäuser aus dem Frühwerk wie in der Hauptmannsreute 74 bis 78 genauso wie die bereits an die Strömungen des Neuen Bauens anknüpfenden Wohngebäude in der Cäsar-Flaischlen-Straße. Die Ausstellung im Außenbereich des Stadtarchivs (Bellingweg 21) ist bis 14. November zu sehen.