Die Ausstellung „Wie der Punk nach Stuttgart kam“ punktet mit einer überwältigenden Materialfülle, man kann Pogo tanzen und lernt die Ästhetik dieser Subkultur zu lesen. Nur: ist Punk tatsächlich ein Fall fürs Museum?

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Ist Punk jetzt reif fürs Museum? Im Württembergischen Kunstverein (WKV) sagt man: ja. „Wie der Punk nach Stuttgart kam & wo er hinging“ porträtiert wie das dazugehörige Buch die Szene der Jahre 1977 bis 1983. Da geht es um Treffpunkte der Punks, ihr Verhältnis zu Kleidungsstil und Körper, besetzte Häuser. Man sieht eigenhändig collagierte Magazine, sogenannte Fanzines, dazu Schallplatten und Kassetten, Kleidungsstücke, Plakate, Instrumente, Bilder und Zitate von Zeitzeugen. Etwa 100 von ihnen hat Simon Steiner für sein Buch interviewt, auf dem die Schau basiert. Punk, das wird deutlich, war und ist Musik, Lebensstil, Kunst – oder, wie bereits 1981 eine WKV-Ausstellung behauptete, „Volkskunst“.

 

Die im WKV gezeigte Materialfülle ist überwältigend. Das ist Stärke und Schwäche zugleich: Kaum eine Band, Spielstätte, Szenefigur wird ausgespart – doch zumindest der unbedarfte Beobachter müsste etwas mehr an die Hand genommen werden. Erklärende Texte fehlen weitgehend, Bezüge werden kaum hergestellt.

Dabei wäre das so einfach gewesen. Ein Beispiel: Das Forum Stuttgarter Bürgerinitiativen prägte 1979 in einem (auszugsweise gezeigten) Band den Begriff „Kaputtgart“; die an anderer Stelle in der Schau vertretene Band Ätzer 81 griff ihn mit ihrem in Szenekreisen bestens bekannten Song „Stuttgart Kaputtgart“ auf. Man hätte aber auch gern über jenes Stuttgart erfahren, das vor Langeweile brennt, wie auf Lars Besas Schild (und auf dem Cover des zur Ausstellung erscheinenden Samplers) beklagt wird. Solche Referenzen, die erhellende Einblicke in das Zusammenspiel von Subkultur und Stadtgesellschaft versprächen, werden nur Eingeweihten oder den Lesern des opulent gestalteten Buchs zur Ausstellung sichtbar.

Ansprechendes Rahmenprogramm

Blendet man das ansprechende Rahmenprogramm aus, bleibt die Schau deshalb stark im Oberflächlichen – treibt das aber auf die Spitze. Die „Pogo-Box“, in der man zur Musik von damals den rumpelnden Punkertanz üben kann, ist ein genialer Einfall. Außerdem bleibt beim Betrachter ein starker Eindruck der Ästhetik dieser Jugendkultur, die immer wieder totgesagt wurde („Punk is dead“) und auch in Stuttgart bereits etliche Mitglieder verloren hat, wie ein im WKV ausgelegter kleiner schwarzer Band mit Todesanzeigen beweist.

Die erste Stuttgarter Punk-Generation zwischen 1977 und 1983, das sieht man auf den im WKV gezeigten Bildern, bestand vor allem aus jungen Männern. Die von ihnen geschaffenen Plakate, Fanzines und Musik sind so sehr Ausdruck ihrer Zeit, dass man sie problemlos ins Museum stecken kann. Wichtiger ist indes die Nachricht, dass Punk sich dem zum Trotz immer wieder gehäutet hat und bis heute eine ganze Reihe meist junger Stuttgarter Bands den Geist dieser Anfangsjahre weiterträgt. Das zu erkennen fällt leichter, wenn man diese mit viel Einsatz zusammengetragene Schau gesehen hat.

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