Der Kunstverein zeigt die Retrospektive „Jean Häntsch – 33 Jahre Bildhauerei“. Der Holzbildhauer kann nach einem Schlaganfall nicht mehr künstlerisch tätig sein. Er trägt es mit Haltung – und Humor.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Korntal-Münchingen - Die „Verzweiflung“ trägt die Spuren einer Kettensäge. Jean Häntsch hat die Frauenskulptur aus Birnenholz so durchfurcht, dass ihr das akute Auseinanderbrechen zu drohen scheint. Es ist ein Porträt seiner von schwerer Krankheit gezeichneten Partnerin und Mutter seines Kindes, die mittlerweile gestoben ist.

 

Und die Verzweiflung könnte Jean Häntsch aus einem weiteren Grund übermannen: Ein Schlaganfall kehrte vor einem Jahr im Leben des Holzbildhauers das Unterste zuoberst. Zunächst konnte er weder sprechen noch gehen, er war auf den Rollstuhl angewiesen.

Inzwischen ist Häntsch wieder einigermaßen ordentlich auf den Beinen, Schritt für Schritt kommt das Kurzzeitgedächtnis wieder. Er hat jedoch unter anderem 80 Prozent seines Sehvermögens eingebüßt. Auf seiner Weste prangt das Blindenzeichen. Doch er sagt: „Was soll ich tun? Soll ich zu heulen anfangen?“ Er nimmt es mit Haltung, lamentieren liegt ihm fern. Schon aus einem wesentlichen Grund: „Ich habe ein Kind. Da muss man auf Zack sein.“

Zwischen Realität und Fiktion

Wenn nun das Schaffen von Jean Häntsch im Mittelpunkt der neuen Ausstellung des Kunstvereins Korntal-Münchingen steht, ist es gezwungenermaßen keine aktuelle künstlerische Standortbestimmung, sondern ein Blick zurück, eine Retrospektive. Folgerichtig heißt die Schau in der Galerie 4/1 „Jean Häntsch – 33 Jahre Bildhauerei“.

Sie wirft Schlaglichter auf die vergangenen Schaffensphasen des 1954 geborenen Künstlers, den die Beschaffenheit und die Möglichkeiten des Materials Holz schon in jungen Jahren elektrisierten, der aber auch Ausflüge in die Steinbildhauerei nicht scheute. Beleuchtet werden in drei Ausstellungsräumen seine zwischen Realität und Fiktion angesiedelten, mit Zutun von Sägen, Fräsen, Hobeln oder Bohrern gefertigten Arbeiten. Weltliche und sakrale, kleinteilige oder raumgreifende – etwa die auf Victor Hugo Bezug nehmende Vierergruppe „Les Misérables“ aus Robinienholz, bei der Häntsch ein Quartett stilisierter Menschen zueinander in Beziehung setzt und doch jede für sich allein und verinnerlicht stehen lässt. Für diese Arbeit wurde er 2005 mit dem Gestaltungspreis der Landesinnung der Holzbildhauer gewürdigt.

Ironisch-verspielt ist hingegen der Augentäuscher „Durchbruch“, der vermeintlich die Decke des Erdgeschosses durchstößt, dort Risse hinterlässt und gleich auch noch den darüberliegenden Raum durchmisst. Ein Werk, das originär zu dem Haus gehört, in dem es ausgestellt wird: Häntsch hat das alte Balkongeländer der Galerie 4/1 dafür filigran bearbeitet.

Der Seewald als Materialquelle

Dass die Galerie in einem ehemaligen Gärtnerhaus untergebracht ist, fügt sich bei der Person Jean Häntsch besonders treffend. Stammt er doch selbst aus einer Gärtnerfamilie, und was in der Umgebung heranwächst, ist die Grundlage seiner Arbeit. Für seine Skulpturen verwendet er heimische Hölzer, vornehmlich aus dem Seewald. Viele schöne Stücke aus den dortigen Versteigerungen fand er von jeher viel zu schade zum Verheizen. Auch wenn Häuser geräumt und Gärten geschleift wurden, war er oft mit dem geschulten Holzbildhauerblick für prägnantes Material zur Stelle.

So lebt ein wegen Kernfäule gefällter charakteristischer Birnbaum in Häntschs „Keltischem Kreuz“ wieder, dem er aus demselben Material überdies ein Alpha und ein Omega zur Seite gestellt hat. Mehrere sakrale und sepulkrale Auftragsarbeiten hat der Künstler beispielsweise für die Aussegnungshallen in Korntal und Münchingen oder für die Christuskirche und die katholische Kirche Korntal gefertigt: Von der Madonna über das Jerusalem-Relief und das Kondolenzpult bis hin zum Weihwassergefäß.

Dass er selbst theologisch bewandert ist, speist sich indes nicht aus persönlichem Glauben, sondern aus der künstlerischen Auseinandersetzung. Für knapp 20 exemplarische Werke ist bei der Retrospektive des Kunstvereins Platz. Neue, sagt Häntsch, wird es keine mehr geben. „Früher hatte ich ständig Ideen. Das ist vorbei.“ Freunde helfen ihm, vor dem Schlaganfall begonnene Stücke zu vollenden; wenn schwierige Maschinenarbeiten anstehen, geht ihm eine Schreinermeisterin zur Hand.

„Ich selbst schaffe nur noch einfache Dinge wie Holz einlassen, einölen oder Spinnweben entfernen“, erzählt er. Dass es so ist, wie es ist, nimmt er mit Galgenhumor: „Nur damit kriegt man die Dinge hin.“