Etwas eigenwillige Ideen hat der Künstler Christo ja schon immer gehabt. Nun will er für eine Ausstellung in Schwäbisch Hall einen Baum verpacken.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Schwäbisch Hall - Eigentlich wollte er es schon vor 25 Jahren tun: Jetzt hat Christo in Schwäbisch Hall einen Baum verpackt für die nächste Ausstellung "Waldeslust" in der Kunsthalle Würth. Auch nach ihrem Tod ist seine Frau und Projektpartnerin Jeanne-Claude noch sehr präsent - wie Christo im Gespräch erzählt.

 

Christo, Sie machen Projekte in Paris, New York oder Abu Dhabi. Was führt Sie ausgerechnet nach Schwäbisch Hall?

Das hat eine lange Geschichte. Ich habe eine besondere Beziehung zu Reinhold Würth und dem Museum in Künzelsau, das wir 1995 verpackt haben. Damals gab es noch eine zweite Idee, die nun nach 25 Jahren vollendet wird.

Nämlich die Verpackung eines Baumes?

Ja. Ich habe schon mehrere Bäume verpackt, aber die meisten existieren nicht mehr. Ich wollte noch einmal eine solche Skulptur machen, und es war eine hervorragende Gelegenheit, das für die Ausstellung zum Wald in der Kunstgeschichte zu tun. Wir haben eine 7,50 Meter große Hainbuche eingepackt, auch das Wurzelwerk ist mit einem dunklen Gewebe verpackt.

Dafür sind Sie mal eben vorbeigekommen? Sie leben ja eigentlich in New York.

Ja, wir sind gestern von Zürich nach Hall gefahren, beziehungsweise ich bin gefahren worden. Ich fahre ja kein Auto, ich habe nicht einmal einen Führerschein. Wir hatten einen fantastischen Sonnenuntergang, dann so viel grünes Gras, so ein saftiger Spätsommer, es war herrlich. Morgen geht es weiter nach London.

Hat der Baum für Schwäbisch Hall etwas Spezifisches?

Das Material, das wir benutzen, haben wir schon 1998 eingesetzt, als wir in Basel in der Fondation Beyeler 178 Bäume eingepackt haben. Es ist Polyester aus Japan. Japanische Gärtner packen damit die Bäume ein, um sie im Winter vor Minustemperaturen zu schützen. Gerade im Norden Japans gibt es ja viel Schnee.

Sondieren Sie für Ihre Projekte erst einmal vor Ort die Lage?

Das hier ist eine Skulptur, kein Projekt wie die Verhüllung des Reichstages. Das sind Skulpturen, so wie Skulpturen aus Bronze oder Marmor auch.

Warum aber ausgerechnet Bäume?

Bäume sind extrem skulptural: die Art, wie die Äste wachsen, sie besitzen diese unerwarteten und reichen Bewegungen in alle Richtungen. Bei den verpackten Bäumen benutzen wir diese natürlichen Formen und heben deren Dynamik hervor. Das besitzt eine klassische skulpturale Qualität.

Entstehen Ihre Ideen am Schreibtisch?

Ich habe ein Studio und mache viele Dinge parallel. Ich arbeite nie allein an einer Sache. Unsere Projekte sind eine sehr komplexe Angelegenheit, da entwirft man nicht einfach etwas. Deshalb gehe ich nicht ins Studio und sage: So, jetzt sollte ich mal etwas arbeiten.

Hat sich Ihre Arbeit verändert seit dem Tod von Jeanne-Claude?

Das eine Projekt, an dem ich gerade arbeite, haben wir schon Ende der siebziger Jahre konzipiert. Damals waren Jeanne-Claude und ich immer wieder in Abu Dhabi - zu einer Zeit, als noch niemand über Abu Dhabi sprach. Damals ist das Projekt bereits fertig gestellt worden, es fehlte nur noch die Genehmigung. Deshalb sage ich im Zusammenhang mit dem Projekt immer noch wir. Auch sonst sage ich wir, weil Jeanne-Claude noch hier ist, die ganze Zeit.

Sie führen nur aus, was sie gemeinsam konzipiert haben?

Es hat sich nichts verändert, alles war schon entschieden. Die Umsetzung ist dann noch einmal eine andere Sache. Wenn wir wie in Australien die Küste verpackt haben, die Klippen und Felsen, dann mussten Jeanne Claude und ich schon rumgehen und sagen: Das hier wird verpackt, dort kommt ein Seil hin. Es gibt aber andere Projekte, bei denen alles festgelegt ist, die könnten auch ohne uns gebaut werden, weil jeder Zentimeter bereits geplant ist.

Was war Ihr Patentrezept, dass Sie sich all diese Projekte leisten konnten?

Wenn Künstler jung sind, versuchen sie, eine Galerie zu finden, um den Verkauf ihrer Werke voranzubringen. Unglücklicherweise hatten Jeanne-Claude und ich zunächst keine Galerie und keine Sammler. Die Arbeiten, die Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre entstanden, hat niemand gekauft. Plötzlich fanden wir uns mit einer Unsumme an Werken wieder. Das war unser Kapital, wie eine Goldmine. Das gab uns später die Freiheit, all diese Dinge zu realisieren.

26 Millionen Dollar haben allein die Schirme gekostet, die Sie 1991 in Japan und Kalifornien aufstellten. Das sind enorme Summen.

Die Arbeiten selbst sind nicht das eigentlich Teure, aber die Kosten der Projekte sind hoch: für die Dienstleistung, für die Arbeiter, das Material. Das schlägt wirklich zu Buche. 56 Kilometer Kabel, 9.000 Anker, die sieben Meter im Boden fixiert werden müssen ...

Sitzen Sie heute auch mal friedlich im Atelier und zeichnen in aller Ruhe?

Ich habe meistens gar keine Zeit zu arbeiten, weil ich so viele andere Sache machen muss. Ich bin total glücklich, wenn ich mal in New York City bin und etwas Ruhe habe. Schließlich ist alles, was Sie in Galerien und Museen sehen, mit meiner eigenen Hand gefertigt. Alles, alles.

Arbeiten Sie diszipliniert von neun bis fünf?

Nein, nein, ich arbeite oft noch am Abend, wenn die anderen gegen sechs das Büro verlassen haben. Ich arbeite dann bis zwei, drei am Morgen, weil mich niemand stört. Das war auch nicht anders, als Jeanne-Claude noch lebte. Aber die Projekte bestimmen den Zeitplan. Wir müssen ständig reisen, von London aus geht es jetzt nach New York, danach zu einem Kongress nach Tokio, zurück nach Europa, dann Washington, so ist das die ganze Zeit.

Aber zu Hause sind Sie in New York City?

Ich lebe am gleichen Ort im gleichen Haus seit 47 Jahren - seit 1964. Wir haben uns das Haus hergerichtet, wir haben keinen Aufzug, mein Studio ist im obersten Stock, ich steige die neunzig Treppen fünfzehnmal am Tag rauf und runter.

Haben Sie einen Traum oder ein Projekt, das Sie gern realisieren würden?

Jeanne-Claude war da viel direkter und hat mehr nach vorne geschaut. Im Moment sind wir viel zu sehr damit beschäftigt, Projekte fertig zu stellen. "Over the river" in Colorado wurde seit 1972 zweimal unterbrochen. Manchmal bekommen wir plötzlich die Genehmigung und müssen uns dann ganz auf das Projekt konzentrieren.

Das Gespräch führte Adrienne Braun