Karl-Heinz Penkwitt hat 60 Jahre Mode fotografiert. Für Kataloge. Was damals flüchtig war, für eine Saison gedacht, neu und doch schon wieder von gestern, spiegelt ihre Zeit wieder, ihre Wünsche, Träume und Aufbrüche.

Seemann wollte er werden, die Welt sehen. Verwandte hatte er in der Handelsmarine, die dem jungen Karl-Heinz Penkwitt erzählten vom Leben auf dem Meer, von den Orten wo sie waren. Die damals in den 50er Jahren noch unendlich weit weg schienen, fremd, mysteriös und verlockend, noch nicht erobert und entzaubert von vielen Reisenden. Zur Marine ging er dann doch nicht, aber er fand einen anderen Weg sich der Welt zu nähern und sie zu erleben, durch die Linse seiner Kamera.

 

Der Sohn eines Bäckers

Als Sohn von Flüchtlingen war Penkwitt mit seinen Eltern nach Meldorf in Schleswig-Holstein gekommen. Und weil der Vater eine Bäckerei in Karlsruhe übernehmen konnte, ging es gen Süden. Penkwitt wuchs in der Backstube auf, Brötchen und Brezeln waren allerdings nicht seine größte Leidenschaft, „backen kann ich immer noch nicht“, sagt der 79 Jahre alte Penkwitt. Seine Frau Gisela ergänzt mit einem Schmunzeln: „Wir haben gestern mit Müh und Not einen Kuchen hinbekommen. Er war essbar.“

Ein Lebenswerk an der Wand

Ihr Metier war Labsal anderer Art, Augenfutter. Wir sitzen auf dem Ledersofa in der Rock Star Photo Gallery von Jeanette Lemmerz und Duncan Smith in der Senefelderstraße. 30 Jahre schon kennen sich Smith und Penkwitt, sie haben oft zusammen gearbeitet, da liegt es nahe, dass Penkwitt sein Lebenswerk dort zeigt. 60 Jahre hat er fotografiert. Mode. Für die großen Versandhäuser. Quelle, Neckermann, Baur, Schöpflin, Witt Weiden, Namen, die die Bundesrepublik prägten, Profiteure und Befeuerer des Wirtschaftswunders.

Mit allen Mitteln

Und durchaus typisch für ihre Zeit. Gustav Schickedanz, Gründer von Quelle, war bereits 1932 in die NSDAP eingetreten. Josef Neckermann lieferte Kleidung für Zwangsarbeiter und Uniformen für die Wehrmacht; er hatte sich unter anderen die Wäschemanufaktur Karl Joel angeeignet, war den Kaufpreis an den Juden Joel aber schuldig geblieben. Erst 1957 nach einem Prozess durch mehrere Instanzen zahlte Neckermann zwei Millionen Mark als Wiedergutmachung. Karl Joel war übrigens der Opa des Musikers Billy Joel. Aber das ist eine andere Geschichte.

Neckermann wurde offiziell als Mitläufer eingestuft, galt als entnazifiziert. Und brachte 1950 die zwölfseitige Preisliste 119 heraus, seinen ersten Katalog. Die wuchsen im Laufe der Jahre zu dicken Büchern, kamen zweimal im Jahr – und wollten gefüllt werden. Vor allem mit lockenden Bildern. Von Fotografen wie Karl-Heinz Penkwitt. Seemann? Bäcker? Er fing in Karlsruhe beim Fotografen an, „als Assistent, als Träger und Hilfsarbeiter“, wie er sagt. Damals gab es noch Standkameras, die Ausrüstung wog schwer. Als Lehrling verdiente er 20 Mark im Monat. Dann ging er zu Rudi Schmutz nach Stuttgart in die Tübinger Straße. Und landete damit in der Modebranche.

Ein Familienprojekt

Die prägte sein Berufsleben die nächsten 60 Jahren. Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter, Saison folgt auf Saison. 1963 fotografiert er das erste Mal auf eigene Rechnung, nach eigenen Vorstellungen, ein Model namens Joyce Versteeg, „bei uns im Wohnzimmer“, erinnert er sich. Uns bedeutet: bei ihm und Frau Gisela. Die Fotos waren ein Familienprojekt, er fotografierte, sie organisierte. So brauchte er auch nie eine Agentur. Ein Erfolgsmodell. Mit Vorbildcharakter. Beide Söhne sind ebenfalls Fotografen geworden, erzählen sie.

Material en masse

So ging es hinaus in die Welt. Nach Spanien, auf die Kanaren, nach Miami und Südafrika. Wo das Wetter verlässlich gut war, wo man der Kleidung die Illusion mitgeben konnte, sie würde einen immer im rechten Licht scheinen lassen. Anfangs waren das wahre Expeditionen. „Wir sind mit 40, 50 Kisten nach Südafrika geflogen“, sagt Penkwitt, „vor allem gefüllt mit Filmrollen.“ Tagelang sei man nur damit beschäftigt gewesen, die Schutzhüllen auszupacken. Drei Monate blieben sie am Stück an einem Ort, ein Labor brauchten sie in der Nähe. Den Set, also die Kulisse und den Aufbau für die Fotos, konnte man erst abbauen, nachdem die Bilder entwickelt und für gut befunden waren.

Als Nelson Mandela freikam

60 Tage habe man durchgearbeitet, „und wenn wir um halbacht aufgestanden sind, fühlte sich das an wie ausschlafen“, sagt Gisela Penkwitt und lächelt. „Wenn wir dann heim nach Stuttgart geflogen sind, dachte ich oft: Da möchte ich mal wieder hin und Urlaub machen.“ Erlebt haben sie dennoch vieles, schöne Hotels, pittoreske Strände und Landschaften, sie waren in Kapstadt, als Nelson Mandela freikam. In Miami wurden sie bei Sonnenuntergang von Drogendealern umlagert, mit Pistolen im Hosengurt. Da bauten sie zügig ab, hatten sie doch wie so oft das gesamte Produktionsgeld in bar dabei.

Neu und doch schon wieder alt

Die Organisation, die Arbeitswut, die Akkuratesse, manchmal auch die Mühsal, das sieht man den Fotos nicht an. Diese Leichtigkeit war im Preis inbegriffen. Aber dass die Fotos immer noch frisch wirken, das erstaunt auch ihn. Für den Gebrauch waren sie gedacht, die Halbwertszeit eine Saison, kaum irgendwo ist der Konsum schneller als bei der Mode. Neu und doch schon wieder von gestern, während Penkwitt die Winterausstattung fotografierte, kam gerade die Sommerware raus.

Ein Sittenbild

Über 60 Jahre hinweg zeigt er, was die Bundesrepublik trug, was sie bewegte. Der Aufbruch in den 60ern, die Hippies der 70er, die Hedonisten der 80er, die Größenwahnsinnigen der 90er, die Strasssteinchenfraktion der 00er Jahre. So ist ein Sitten- und Zeitengemälde entstanden. Ganz nebenbei.

Längst fotografiert auch Penkwitt digital. „Das war ein befreiendes Gefühl, man sah sofort was man macht.“ Es eröffnet neue Möglichkeiten. Im Café Moulu, gegenüber der Galerie, zeigt er seine neuesten Werke. Als er auf Arte Fernsehen schaute und ein Gewitter über Stuttgart tobte, rauschte das Bild. Penkwitt holte seine Kamera und schoss und schoss. Heraus kamen wild durcheinander gewürfelte Pixel, die ahnen lassen, was da zu sehen sein sollte. „Fragmentierte Fotografie“ nennt er das. Entstanden im Moment. Und festgehalten für die Ewigkeit.