Der tunesische Fotograf Hamideddine Bouali ist zu Gast in Stuttgart. Im Rathaus sind seine Fotos aus der Revolution zu sehen, die um die ganze Welt gingen.

Stuttgart - Das Klischee des Fotografen in Krisengebieten ist das eines einsamen Wolfs. Eines Draufgängers, der Sätze von sich gibt wie Robert Capas berühmtes Zitat: „Wenn deine Bilder nicht gut sind, warst du nicht nahe genug dran.“

 

Doch Hamideddine Bouali ist anders. Der fünfzigjährige Tunesier ist elegant gekleidet, höflich, bescheiden. Seine Bilder sind auf der ganzen Welt gezeigt worden, doch er selbst – berühmt? Darüber habe er noch nie nachgedacht. Für Bouali zählt nie der Fotograf als Person, sondern seine Fotografien.

Hat er selbst Vorbilder? „Robert Doisneau und James Nachtwey haben Bilder gemacht, von denen sich jeder Fotograf wünscht, es wären seine eigenen“, sagt Bouali. „Diese Bilder bewundere ich, nicht die Persönlichkeiten.“ Auch die Frage, ob er sich selbst eher als Künstler oder als Journalist sehe, kann er nicht beantworten. „Diese Grenzen verschwimmen seit gut zwanzig Jahren“, ist er überzeugt. „Pressefotos werden heute genauso auf Ausstellungen gezeigt wie Modefotografien.“Bouali stilisiert sich nicht zum Helden. „Ich bin unpolitisch“, sagt er. „Anders hätte ich niemals den ersten Fotoclub von Tunis gründen können.“ Auch heute ginge es ihm nie um Politik, sondern um die Menschen. Er arbeitet als Kurator im Rathaus von Tunis und als Dozent an der dortigen Hochschule für Fotografie und Kunst. Seine Leidenschaft war schon immer die Streetfotografie. Er liebt es, mit seiner Kamera das Leben der einfachen Tunesier festzuhalten, wie sie leben, lachen, trauern.

Auf der Suche nach dem zeichenhaften Bild

Im Januar 2011 fingen die einfachen Tunesier dann bekanntlich an, auf die Straße zu gehen, um zu protestieren. Damit schrieben sie ein Stück Geschichte. Bouali war dabei. „Mein Ziel war es, ein ikonisches Bild zu schaffen“, sagt er. Eines, das den gesamten Konflikt in sich vereine, ein Symbol. Getrieben von diesem Wunsch, mischte er sich ins Gedränge. Die Bilder, mit denen er zurückkam, zeigen Tränengaswolken, die Beerdigung eines Märtyrers, Stacheldraht, Soldaten und die Menschen auf den Demonstrationen. Auf blutige Aufnahmen von Verletzten und Toten hat der Fotograf verzichtet. Er will Leid und Schmerz indirekt wirken lassen.

Fotografiert hat Bouali mit einer kompakten Superzoomkamera. Die Profikamera hat er absichtlich nicht benutzt. Sie ist groß, schwer – und auffällig. Bouali ist überzeugt: „Viele Bilder konnte ich nur machen, weil ich als Amateur durchgegangen bin, der Souvenirfotos schießt.“

Dennoch war diese Arbeit lebensgefährlich. Nur hundert Meter von Boualis Standort entfernt wurde am 17. Januar vergangenen Jahres der deutsch-französische Pressefotograf Lucas Mebrouk-Dolega von einer Tränengasgranate tödlich am Kopf getroffen. „Ich war bestürzt“, sagt Bouali. Er hatte den Journalisten gekannt und erst später von dessen Tod erfahren.

Von ihm stammt das Bild der Revolution

Es war einer der Momente, in denen er sich gefürchtet hat. Er gibt offen zu: „Natürlich hatte ich Angst, jeden Tag. Oft hat sie mich aber erst zu Hause eingeholt, wenn ich die Bilder durchgesehen habe. Mit zitternden Knien habe ich mich dann gefragt, warum ich mich in diese Gefahr begebe.“ Bouali zog immer wieder los, obwohl auch er selbst irgendwann von einer Tränengasgranate getroffen wurde.

Am 19. Februar hat Hamideddine Bouali dann sein zeichenhaftes Bild gefunden. Es entstand auf einer Demonstration für ein säkulares Tunesien und zeigt eine junge Frau. Sie schwenkt eine tunesische Flagge, hat den Mund zum Schrei aufgerissen. Auf ihrem T-Shirt steht „Tunesien gehört dir und mir und allen.“ Es ist das Bild, auf das Bouali so lange gewartet hat – weil es alles zeigt. Die Flagge, die Emanzipation der Frauen, die Jugend, die Wut. Bouali hat das Bild „Victoire de Tunisie“ genannt. Es könnte später im Geschichtsbuch stehen.

Bouali stellt in aller Welt aus

Boualis Fotografien sind nicht nur im Netz verbreitet, sondern auch öffentlich ausgestellt worden: Washington, London, Paris, Berlin, jetzt in Stuttgart. Der „Spiegel“ betitelte ihn als „Fotografen der Freiheit“. Bouali begleitet seine Ausstellung durch Europa, seine Nikon hat er immer dabei. Selbst die Zeit in Stuttgart nutzt er, um zu fotografieren, die Bilder stellt er online. Auch wenn die heiße Phase der Jasminrevolution vorbei ist, will er sich weiter auf die Streetfotografie konzentrieren. Er geht durch die Straßen, lässt das Leben auf sich zukommen und hält es manchmal für den Moment einer Verschlusszeit fest.

Die Ausstellung „Revolution auf Tunesisch“ wird heute um 18.30 Uhr im Stuttgarter Rathaus eröffnet und ist bis zum 3. Februar geöffnet, Mo–Fr von 8 bis 18 Uhr. // Hamideddine Bouali im Internet unter www.du-photographique.blogspot.com