Er hat einst im 19. Jahrhundert das Gleisnetz für Württemberg entwickelt: Jetzt würdigt eine Ausstellung im Stadtarchiv den Eisenbahnpionier Carl Etzel.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Es sind für Carl Etzel nervenaufreibende Momente gewesen, damals in den Januartagen des Jahres 1846. Wenige Wochen zuvor hatte König Wilhelm I. unter großer Anteilnahme einer breiten Öffentlichkeit die erste Bahnstrecke Württembergs zwischen Cannstatt und Untertürkheim feierlich eröffnet. Zum Zeitpunkt der Jungfernfahrt der auf den Namen Neckar getauften Lokomotive war auch die Stichtrasse unter dem Schloss Rosenstein hindurch in den Stuttgarter Kessel hinein längst im Bau. Doch die Ingenieure hatten die Rechnung ohne die Naturgewalten gemacht. Bei den Arbeiten wurde eine unterirdische Wasserblase angestochen, die in dem fast fertigen Stollen für einen Schlammeinbruch sorgte – und einen Stopp der Bauarbeiten erzwang. Alle Versuche, die Situation in den Griff zu bekommen, scheiterten zunächst.

 

Ein Plädoyer für die Pferdebahn

Die Misere war Wasser auf die Mühlen der Kritiker im königlichen Hofstaat, die das Projekt des Rosensteintunnels zu Fall bringen wollten. Was hatte Planer Etzel, später von Etzel, diesen nicht alles ins Stammbuch geschrieben, um die Widerstände gegen eine Zugstation im engen Nesenbachtal zu zerstreuen. „Dass dem Schlosse selbst von der Durchführung eines Tunnels keine Art von Schaden drohe, dafür bürgt einerseits eine Entfernung von 40 Fuß zwischen dem Schluss der Tunnelwölbung und dem Erdboden um das Schloss, andererseits die Sicherheit, mit welcher man in neuerer Zeit dergleichen Arbeiten auszuführen weiß.“

Und nun das.

Dabei waren die Phasen grundsätzlicher Skepsis gegenüber dem modernen Fortbewegungsmittel eigentlich vorbei. Etzel selbst hatte zu jenen gehört, die zunächst Zurückhaltung übten. In einem Gutachten vom Ende der 1830er Jahre über die „Notwendigkeit und Ausführbarkeit einer Eisenbahn durch Württemberg“ plädierte er jedenfalls für einen Antrieb mit Pferden statt modernen Dampfloks – wegen der schwäbischen Mentalität. „Dem Passagier, welcher zu seinem Vergnügen reist, wird die Geschwindigkeit der Pferdebahn von zwei deutschen Meilen in der Stunde durch das fruchtbare, blühende Württemberg eher zu groß als zu klein dünken“, urteilte er, zumal „in Süddeutschland die Zeit unendlich geringeren Wert hat als in England oder Amerika“. Und immer wieder auch verbanden sich mit dem Aufkommen der Eisenbahn ganz düstere Vorhersagen. Noch während des Festaktes zur Einweihung der Cannstatter Strecke im Oktober 1845 wurde die Expertise eines honorigen Medizinalkollegiums publik, wonach die schnelle Bewegung im Rahmen einer Zugfahrt bei den Passagieren „unfehlbar eine Gehirnerkrankung erzeugen“ müsse.

Dem königlichen Ruf gefolgt

Doch das Gros der Menschen ließ sich durch diese Prophetie nicht schrecken. Binnen weniger Wochen wurden die ersten 10 000 Bahnreisenden gezählt. Wilhelm I., der per Dekret der Eisenbahn den Weg bereitet hatte, konnte sich bestärkt fühlen. Auch Carl Etzel hatte sich – in Wien und Paris reüssierend – längst dem Dampfross verschrieben. Und so folgte er gerne dem königlichen Ruf, um die damals rund 35 000 Einwohner zählende Residenzstadt an das Schienennetz anzuschließen.

Stuttgart war schließlich die Heimatstadt Carl Etzels. Am 6. Januar 1812, vor 200 Jahren also, war er als Sohn von Eberhard Etzel geboren worden. Dieser – königlich württembergischer Oberbaurat – hatte sich einen Namen gemacht mit damals spektakulären Projekten wie der Neuen Weinsteige oder der Wilhelmsbrücke in Cannstatt. Und so ward dem Nachwuchs der Ingenieursgeist quasi in die Wiege gelegt, wie auch Hartwig Beiche befindet, der frühere Technische Referent im Stuttgarter Rathaus und profunde Etzel-Kenner.

Nach dem Schulbesuch studierte Etzel junior an der Stuttgarter Gewerbeschule, einem Vorgängerinstitut der Technischen Hochschule. Danach ging er wie viele Künstler und Architekten nach Paris, wo er sich mit der Planung von Bahnstrecken und Bahnhöfen befasste. Später arbeitete er in Wien, zunächst als Architekt, der Wohnhäuser und die Winterschwimmhalle des Dianabades entwarf, und schließlich als Eisenbahn-Ingenieur, wo er es zu einem Fachmann von Weltgeltung bringen sollte. Am Bau der Wien-Gloggnitzer-Bahn war er beteiligt und wurde auch mit einem Gutachten für die neue Strecke Mailand-Monza betraut.

Etzel verspürte selbst eine künstlerische Ader

Sein international glänzender Ruf war es schließlich, der König Wilhelm aufmerksam werden und den verlorenen Sohn in die Heimat zurückholen ließ. In dessen Auftrag überarbeitete Etzel vorliegende Pläne und entwickelte das Konzept für das später real gewordene Gleisnetz in Württemberg. Vom Enztalviadukt bei Bietigheim auf der Strecke Stuttgart-Heilbronn bis zur Geislinger Steige gibt es heute noch etliche Zeugnisse der Etzelschen Kunst von Verkehrsbauwerken. Und auch der erste Stuttgarter Bahnhof gehört dazu, dessen Relikte in der Bolzstraße neben dem „Metropol“ heute noch zu besichtigen sind.

Carl Etzel nahm rege auch am Stuttgarter Kulturleben teil – auch, weil er selbst eine künstlerische Ader verspürte. Er zeichnete gerne und war im Gesang geübt. Und so nahm er gerne alle sich bietenden Gelegenheiten war, mit Kulturschaffenden in Kontakt zu kommen. Doch irgendwann hatte sich die Arbeit in Stuttgart und Württemberg für Etzel erschöpft. „Er sah für sich“, so Beiche, „keine reizvollen Aufgaben mehr.“ Zupass kam ihm in dieser Phase ein Ruf der Schweizer Centralbahn in Basel, den er gern erhörte und dort von 1853 bis 1857 als erster Bauleiter tätig war. Danach zog es ihn erneut nach Wien, wo er zum Direktor der K.K. priviligierten Kaiser Franz-Joseph-Orientbahngesellschaft und später der Südbahngesellschaft ernannt wurde. In dieser Position plante er seine wohl berühmteste Eisenbahnstrecke, die Brennerbahn. Deren Eröffnung erlebte er freilich nicht mehr, nachdem ihn ein Schlaganfall traf. Er starb während der Heimreise nach Stuttgart auf dem Bahnhof Kemmelbach. Begraben ist Etzel auf dem Pragfriedhof.

Ideenreichtum, Mut und Beharrlichkeit

„Was Etzel auszeichnete, waren Ideenreichtum, ein großes Fachwissen, Gründlichkeit, Mut und Beharrlichkeit sowie ein ungeheures Arbeitsvermögen“, urteilt Beiche. Das hatte er schon früh bewiesen, auch als es die Krise beim Bau des 360 Meter langen Rosensteintunnels, der 1914 für den zunehmenden Verkehr durch einen Neubau ersetzt worden ist, zu meistern galt.

Vom Souterrain des Schlosses Rosenstein aus wurde der unterirdische Hohlraum, aus dem sich die Wasser- und Schlammmassen in den im Bau befindlichen Stollen ergossen hatten, mit Beton gefüllt – und damit stand dem Anschluss Stuttgarts an das württembergische Gleisnetz nichts mehr im Wege. Am 26. September 1846, einen Tag vor König Wilhelms Geburtstag, wurde die Zufahrt ins Tal eröffnet. All dies zur großen Freude des Hofrats und Gelegenheitsdichters Franz Dingelstedt, der die Eindrücke seiner Premierenfahrt festgehalten hat: „Jetzt bohrt sich das speiende Ungetüm in den Bauch des Berges, und wir verschwinden in gähnender Nacht, um mit zauberhafter Kraft und Schnelle, die Haare fliegend im Wind, das Herz pochend vor Reise- und Lebenslust dem Ziele entgegen zu rasen: Stuttgart!“