Richard Döcker (1894-1968) war ein herausragender Vertreter des Neuen Bauen. Jetzt erinnert eine kleine, feine Ausstellung in der Weißenhofwerkstatt an den Architekten, der den Terrassentyp zum Prinzip erhob.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Licht, Luft, Sonne: Diese griffige Formel der Architekturmoderne hat sich der Stuttgarter Architekt Richard Döcker konsequent angeeignet. Er entwickelte daraus den sogenannten Terrassentyp und erhob ihn zum Prinzip, das er auf sämtliche Bauaufgaben anwendete – vom Einfamilienhaus über öffentliche Bauten bis zum Städtebau.

 

Das dahinterliegende Architekturverständnis stellte die Dinge auf den Kopf und wirkt bis heute. Das durch die Terrasse aufgesprengte Bauvolumen verschränkt Innen- und Außenraum und macht das Haus zum Teil der Stadt: „Nicht das Einzelhaus ist wesentlich, es ist ein Element der städtebaulichen Gesamtkonzeption und hat sich als solches einzuordnen im Interesse des Gesamtergebnisses.“ Es sei, so Döckers Überzeugung, dieses Merkmal, das die Bauten der Gegenwart und Zukunft von denen der Vergangenheit scheidet, wie er in seiner 1929 erschienenen Publikation „Terrassentyp“ schreibt. Erst die Stadt, dann das Haus – ein Credo, das auch zeitgenössische qualitätvolle Architektur in hohem Maße ausmacht. Döckers Buch fand international Beachtung und trug wesentlich dazu bei, dass der spätere erste Stuttgarter Generalbaudirektor in den 1920er Jahren zu einem der herausragenden Vertreter des Neuen Bauens wurde.

Hommage zum 125. Geburtstag

Der Band bildet denn auch den Auftakt der Ausstellung „Terrassentyp als Prinzip. Richard Döcker (1894–1968), Architekt des Neuen Bauens“ in der Weißenhofwerkstatt (bis 22. Dezember, Am Weißenhof 20, geöffnet Sa, So und Feiertage 12–17 Uhr). Das Weißenhofmuseum erinnert pünktlich zum 125. Geburtstag Döckers an dessen Werk, das extrem umfangreich sei, so die Kuratorin Inken Gaukel, aber nicht so bekannt und erschlossen, wie es das verdient hätte.

Endlich komme jemand, um nach Döcker zu schauen – diese Reaktion sei ihr bei ihren langwierigen Archivrecherchen immer wieder begegnet, so Gaukel. Die Ausstellung legt den Schwerpunkt auf die Bauten und Projekte der zweiten Hälfte der 20er Jahre und auf Stuttgart: Döcker war nicht nur technischer Bauleiter der Werkbundausstellung „Die Wohnung“ und für den Bau der meisten Häuser der Weißenhofsiedlung verantwortlich, er trug auch zwei eigene Entwürfe zu dieser Mustersiedlung bei: Haus 21 und 22. Beide Häuser, die er mit Möbeln nach eigenen Entwürfen ausstattete, wurden 1944 bei Luftangriffen zerstört.

Das Döcker-Erbe ist nicht ganz verschwunden

Sein bekanntester Bau: das Bezirkskrankenhaus Waiblingen (1926–28). „Sonne und Luft für alle Räume!“ – diese der Schulmedizin der Zeit entsprungene Forderung erfüllte er mit den Patientenzimmern südseitig vorgelagerten Sonnenterrassen. Fotografien zeigen, wie Patienten in an die Luft gestellten Betten Sonnenbäder nehmen. Doch was innovativ war, erwies sich bald als unrentabel – schon 1959 erfolgte der Abriss. Immerhin ist das Döcker-Erbe nicht ganz aus Stuttgart verschwunden: Unter Denkmalschutz stehen das Haus Vetter in der Birkenwaldstraße mit seinen eleganten Rundungen, das eigene Wohnhaus Dr. Döcker in der Hermann-Kurz-Straße und Teile der Siedlung Wallmer in Untertürkheim, die Döcker als BDA-Landesvorsitzender konzipierte.

Erhalten ist auch das Haus Dr. Kilpper, das er 1927/28 für den Generaldirektor der Deutschen Verlags-Anstalt im Stuttgarter Osten baute. Durch die Terrassierung fügt es sich harmonisch in einen steilen Hang. Die heutigen Besitzer ließen eine von Döcker entworfene Sitzgruppe aufwendig restaurieren, ein Sessel ist in der Ausstellung zu sehen. Ebenfalls zu bewundern: die nirgends dokumentierte Stehleuchte DSL 23, die Döcker für die Weißenhof-Häuser entwarf. Der Architekt Roland Ostertag, der das Haus Döcker erwarb, ließ die elegante Leuchte nachbauen, wie Irene Weinbrenner, eine der Töchter Döckers, bei der Ausstellungseröffnung berichtete. Auch das Stuttgarter Literaturhaus ist, dank Ostertag, mit der DSL 23 ausgestattet.