Ausstellung zu Otl Aicher aus Ulm Dieser Mann hat die legendären Sport-Piktogramme erfunden

Otl Aicher hat sportliche Disziplinen bildlich auf den Punkt gebracht. Foto: imago stock

Grafik ist keine Nebensache: Der Ulmer Gestalter Otl Aicher hat Schriften und Sportzeichen mit politischer Sprengkraft entwickelt – und der Welt grafische Erfindungen geschenkt, die jeder versteht. In Ulm ist ihm nun eine Ausstellung gewidmet.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Natürlich macht man sich auf der Autobahn keine Gedanken über Buchstaben. Wer auf der Autobahn unterwegs ist, will wissen, was auf den Schildern steht, mehr nicht. Dabei liegt die Tücke im Detail. Denn ob Buchstaben dick oder schlank, luftig oder eng nebeneinanderstehen, entscheidet darüber, ob man sie gut lesen kann oder nicht. Als Otl Aicher beauftragt wurde, das Informationssystem des Münchener Flughafens zu gestalten, konnte er sich zwar theoretisch kreativ austoben und neue Schriften erfinden, die Prämisse war aber, optimale Lesbarkeit auch dann noch, wenn man im Auto mit 140 Sachen vorbeisaust.

 

Otl Aicher gelang, was Grafikdesignern eher selten widerfährt: Er wurde weltberühmt mit seinen Schriften, aber vor allem waren es die Piktogramme, die zu seinem wichtigsten Exportartikel wurden. Er entwickelte ein ganzes System an schlichten, grafischen Bildzeichen, die sich intuitiv erschließen, so dass man auf einen Blick weiß: Hier geht es zum Abflug, dort zur Rolltreppe, hier zum Aufzug. Er konzentrierte sich aufs Wesentliche, damit sofort klar ist: Rauchen verboten. In diesem Jahr wäre Otl Aicher hundert Jahre alt geworden. Er ging in die Geschichte ein als einer der führenden Köpfe des Ulmer Designs. Er gehörte zu den Mitbegründern der Hochschule für Gestaltung (HfG), die frischen Wind ins Design bringen und sich von den einstigen Ideen des Bauhauses absetzen wollte. Otl Aicher war aber auch ein widerständiger Geist und als junger Mann mit Sophie und Hans Scholl befreundet, die von den Nazis ermordet wurden. Er heiratete schließlich deren Schwester Inge Scholl – und die beiden versuchten nach den Gräueln der Nazis das geistige und kulturelle Leben in Ulm neu zu beleben und organisierten zahlreiche Vorträge.

Mit Hans und Sophie Scholl befreundet

Konzentration aufs Wesentliche

Das HfG-Archiv in Ulm besitzt den Nachlass von Otl Aicher und erinnert derzeit mit der Ausstellung „100 Jahre 100 Plakate“ an eine der vielen Facetten seines Tuns. Otl Aicher war auch ein leidenschaftlicher Gestalter von Plakaten, die damals freilich noch mit Hand gemalt und nicht nur am PC montiert wurden.

Die Plakate, die in den 1940er Jahren für die Ulmer Volkshochschule entstanden, geben eine Ahnung vom damaligen Lebensgefühl der Nachkriegsgesellschaft. „Betrogene Jugend. Gerade zu der spricht die Ulmer Volkshochschule“ heißt es da zum Beispiel oder „Jetzt bei den langen Abenden an die Volkshochschule“.

Ob Otl Aicher Plakate für Konzerte oder Kunstausstellungen gestaltete, für Vorträge über „Rosen und Orchideen“ oder „Psychologisches zu Eheproblemen“, er illustrierte nie die Inhalte, sondern suchte eigenständige bildnerischen Lösungen, die mal abstrakt, mal mit leichtem Strich gezeichnet waren. Schon als Schüler zeichnete Aicher mit sicherer Hand Strichmännchen – und verriet bereits seine Passion fürs Klare, Schlichte, Prägnante.

Gegenentwurf zur hektischen Welt

Die Konzentration aufs Wesentliche ist letztlich das Geheimnis seines Erfolges. Er reagierte auf die immer aktiver, bunter und voller werdende Welt mit einer angenehm ruhigen und klaren Bildsprache. Dazu geometrisierte er den Menschen. Man nannte ihn auch den „father of the geometric man“, aber es ging ihm nie nur um Gestaltungsfragen, sondern um gesellschaftliche und politische Botschaften. 1972 wurde Aicher offizieller Gestaltungsbeauftragter der XX. Olympischen Spiele in München. Zum ersten Mal konnte sich Westdeutschland der Welt wieder als friedliche Demokratie präsentieren. Aicher gab den Spielen ein Gesicht und entwickelte für jede Sportart ein Piktogramm, das mit minimalen Mitteln doch die charakteristische Bewegungsform zum Ausdruck bringt – ob es Rudern oder Radfahren ist, Basketball oder Bodenturnen.

Das Wichtigste dabei: Aicher vermied jedes Pathos und distanzierte sich klar vom Gigantismus à la Leni Riefenstahl, der die Berliner Olympischen Spiele 1936 in Nazideutschland geprägt hatte .

Viele Firmenlogos stammen von Aicher

Nachdem die HfG wegen interner Probleme und Attacken von außen 1968 geschlossen wurde, zog Otl Aicher nach Rotis im Allgäu – und war von hier aus für internationale Unternehmen tätig. Viele seiner Erfindungen sind bis heute im kollektiven Bildgedächtnis fest verankert, die Erscheinungsbilder für Lufthansa, Sparkasse, Bulthaup oder das ZDF hat er geprägt. Neben lukrativen Aufträgen blieb er engagiert und demonstrierte gegen die Wiederbewaffnung und das atomare Wettrüsten. Auch das Plakat nutzte er für politische Botschaften – sei es zum Ostermarsch 1983 oder zur Menschenkette vor dem Eucom-Hauptquartier in Stuttgart.

1991 starb Otl Aicher bei einem Autounfall. Er hat der Welt eine eigene Schriftgruppe hinterlassen, die er nach seinem Wohnort Rotis taufte. Waldi, das bunt gestreifte Maskottchen der Olympischen Sommerspiele 1972, findet sich noch heute auf T-Shirts und Pullis. Vor allem aber leben seine Piktogramme weiter und weisen bis auf der ganzen Welt den Menschen den Weg zum Gate oder in die Schwimmhalle. Schnöde Infos, hinter denen eine wertvolle Botschaft steckt, weil sie für Menschen jeden Alters, aller Sprachen und Kulturen verständlich sein wollen.

Hilfreich für alle Menschen

Struktur und Klarheit

Arbeiten
Auch am Schreibtisch von Otl Aicher konnte man seinem Wunsch nach Konzentration ablesen. Er begann den Tag an einem leeren Tisch, auf dem nur Papier und Stift lagen. Am Anfang seiner Entwürfe skizzierte er stets mit wenigen Strichen eine Figur oder ein Objekt.

Ausstellung
„Otl Aicher. 100 Jahre 100 Plakate“ ist bis 8. Januar 2023 im HfG-Archiv in Ulm zu sehen (Di–Fr 11–17 Uhr, Sa + So 11–18 Uhr). Auch das Gebäude ist eine Reise wert: Das Archiv befindet sich in den Räumen der einstigen Hochschule für Gestaltung. Der von Max Bill entworfene Gebäudekomplex auf dem Kuhberg wurde 1955 eröffnet. Inzwischen steht er unter Denkmalschutz und ist frisch saniert.

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