Vor hundert Jahren begann der Erste Weltkrieg. In einer aus diesem Anlass in französisch-deutscher Zusammenarbeit entstandenen Ausstellung werden menschliche Schicksale aus dem Elsass dargestellt. Die Kuratoren geben Auskunft über ihre Ziele.

Karlsruhe – - Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren ist der Rhein keine Staatengrenze. Das Elsass wird zum strategisch umkämpften Gebiet. Eine deutsch-französische Wanderausstellung arbeitet nun erstmals die gemeinsame Geschichte des Ersten Weltkriegs am Oberrhein auf. Von kommender Woche an zeigt „Menschen im Krieg/Vivre en temps de guerre“ 32 exemplarische Einzelschicksale parallel an mehreren Stationen in Baden und im Elsass. Die Kuratoren Laëtitia Brasseur-Wild und Rainer Brüning erklären ihre Zusammenarbeit.
Manchem französischen Besucher der Ausstellung ist womöglich nicht klar, dass seine Vorfahren deutsche Staatsangehörige waren. Wie sind sie mit diesem Aspekt umgegangen und wie sieht der spezifisch deutsche Blick auf die Zeit des Ersten Weltkriegs aus?
Die Kuratorin Laetitia Brasseur-WildNückles Brasseur-Wild: Wir erklären von Anfang an, dass die elsässischen Soldaten damals keineswegs Zwangseingezogene wie im Zweiten Weltkrieg waren, sondern deutsche Soldaten wie alle anderen. Natürlich hat sich nach dem Krieg 1918 für die Elsässer alles verändert. Analog zur Annexion Elsass-Lothringens während des Zweiten Weltkriegs herrscht oft jedoch die irrige Meinung, der Großteil der Elsässer sei auch im Ersten Weltkrieg von den Deutschen zum Kriegsdienst gezwungen worden.
Brüning: Interessanterweise ist der Erste Weltkrieg für deutsche Betrachter überhaupt kein Thema der nationalen Selbstfindung mehr. Auch die Frage, ob das Elsass deutsch ist oder nicht, existiert ja gar nicht. Aus deutscher Sicht muss man sich klarmachen, dass man heute kaum mehr die Gründe kennt, warum dieser Krieg stattgefunden hat. Wie soll man Jugendlichen erklären, dass sich mehrere mächtige Nationen in Europa darum gestritten haben, wer die mächtigste war und man sich deshalb millionenfach umbringt. Das liegt jenseits unserer Vorstellungskraft.
Ist dieser Krieg schwer vermittelbar, weil wir nicht mehr nachvollziehen können, wie es war, wenn der Krieg in das Leben eingreift?
Der Kurator Rainer BrüningNückles Brüning: Ja, aus diesem Grund haben wir auch einen konsequent biographischen Ansatz gewählt. Es kann ja nicht darum gehen, eine Metageschichte zu erzählen, also eine große Geschichte, die alles noch einmal zurechtrückt und einen Sinn hineininterpretiert. Für das Individuum ergibt Krieg keinen Sinn und das sieht man an den 32 Lebensgeschichten, die wir zeigen. Die heutige Jugend versteht kaum mehr, was eine Grenze bedeutet. Gleichzeitig brauchen Sie nur den Fernseher anzumachen, und der Krieg flimmert an Ihnen vorüber.
Hat sich aus Ihrer biografischen Herangehensweise automatisch der deutsch-französische Ansatz ergeben?
Brasseur-Wild: Was das Elsass angeht, ist ohnehin kein anderer Ansatz denkbar, als sich dem Thema deutsch-französisch zu nähern. Alle unsere Quellen befinden sich hier in Karlsruhe in den Unterlagen des XIV. Armeekorps.
Brüning: Nachdem das preußische Heeresarchiv im Zweiten Weltkrieg verbrannt ist, gibt es in Deutschland überhaupt nur noch in Karlsruhe, Stuttgart, Dresden und München umfangreiche Militärüberlieferungen zum Ersten Weltkrieg. Alles andere ist vernichtet. Das machen sich viele Leute gar nicht klar.