Sie sprechen mit Prostituierten über Gewalterfahrungen, Suizidgedanken und ungewollte Schwangerschaften. Und sie helfen, beim Ausstieg aus dem Sexgeschäft. Die Stadt Leinfelden-Echterdingen will dem Projekt Rahab nun auf Zuruf Räume bieten.

Leinfelden-Echterdingem - Es wird weder eine feste Sprechstunde noch ein festes Büro geben. Aber immer dann, wenn die beiden Mitarbeiterinnen des Projektes Rahab einen Raum brauchen, um in Ruhe ein Beratungsgespräch mit einer Prostituierten führen zu können, werden sie dafür künftig, wenn sich die Corona-Situation etwas gebessert hat, städtische Räume am Neuen Markt nutzen können. „Auf Zuruf quasi“, wie Peter Löwy, Leiter des städtischen Sozialamtes, unserer Zeitung sagt.

 

Bei diesem Projekt handelt es sich um eine Initiative des Kreisdiakonieverbandes Esslingen, die es seit Januar gibt und die ihren Sitz in Nürtingen hat. Zwei Mitarbeiterinnen fahren regelmäßig zu Menschen – in der Regel Frauen – die ihren Körper verkaufen. Sie begleiten sie zum Arzt, zur Polizei oder zum Gericht. Sie helfen Anträge zu stellen und beantworten Fragen zur beruflichen Neuorientierung.

Die Frauen werden über die Strafbarkeit von Zuhälterei und den Schutz vor Krankheiten aufgeklärt. Es wird über Gewalterfahrungen, Suizidgedanken und ungewollte Schwangerschaften gesprochen. Die Beratung ist kostenlos und auf Wunsch anonym.

Beim Ausstieg aus diesem Beruf helfen

Um die Arbeit von Rahab zu unterstützen, möchte die Stadt jenen Frauen, die aus der Prostitution aussteigen und einem Metier, das häufig von Gewalt und Drogenkonsum geprägt ist, den Rücken kehren wollen, auch Notfall-Wohnungen anbieten. „Das geht aber nur im Verbund mit anderen Städten des Kreises“, erklärt der Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell unserer Zeitung. Denn eine ehemalige Sexarbeiterin könne nur durch einen Umzug in eine andere Stadt einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Auch dazu soll an einem kreisweiten kommunalen Hilfenetz gestrickt werden, sagt der Bürgermeister.

Im Landkreis Esslingen gibt es 13 Bordelle, rund 200 Prostituierte sind dort gemeldet, die Dunkelziffer liegt laut Maria Neuscheler, die das Projekt Rahab koordiniert, allerdings bei 2000. Im Laufhaus in Stetten und im Paradise in Echterdingen – den beiden Puffs in Leinfelden-Echterdingen, arbeiten 80 Frauen. Zumindest dann, wenn die Bordelle nicht wegen der Corona-Krise geschlossen sind. Die Frauen werden laut Neuscheler – einer Ware gleich – wöchentlich ausgetauscht, was bedeute, dass im Jahr bis zu 3000 Frauen durch die Häuser geschleust würden.

Weil 90 Prozent der Prostituierten nicht angemeldet seien, haben viele keine Krankenversicherung, berichtete sie in einem Ausschuss des Gemeinderats. Die Frauen kämen meist aus osteuropäischen Ländern. Sie arbeiten in Deutschland, um ihre Familien in der Heimat, wo die Not groß ist, zu unterstützen. Manche Frau wisse aber in Deutschland nicht einmal, an welchen Arzt sie sich wenden kann, wenn sie krank ist oder von einem Freier misshandelt wurde. Auch hier hilft Rahab.