Ein Sozialunternehmen betreibt ein Projekt zum Ausstieg aus dem Milieu – vergleichsweise erfolgreich. Im letzten Jahr nahmen 52 Frauen das Angebot in Anspruch, doch ihre beruflichen Perspektiven sind oft eher mau.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Freier müssen draußen bleiben, und wer Feuerwaffen mitbringt, bekommt ein Hausverbot verpasst. Damit das vorab geklärt ist.

 

Die beiden Regeln sind der erste und der letzte Punkt auf der Hausordnung des Cafés La Strada im Leonhardsviertel. Hier können sich Prostituierte im Sommer abkühlen, im Winter aufwärmen, quatschen, einfach mal eine Pause machen, ohne dass Männerblicke über ihre Haut kriechen – oder sich darüber beraten lassen, welche anderen Berufe für sie in Frage kommen.

Im letzten Jahr nahmen 52 Frauen den Plan P in Anspruch

Im La Strada holt Rosemarie Roller standardmäßig ihre Klientinnen ab. Sie hilft beim Ausstieg aus dem Milieu, vermittelt Ausbildungen, Schulungen, Wohnungen, Minijobs, vollwertige Arbeitsplätze. Plan P heißt das Projekt der gemeinnützigen Gesellschaft Zora, das Roller leitet. Und es ist zumindest vergleichsweise erfolgreich. 52 Prostituierte hat Roller allein im vergangenen Jahr betreut, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Die absolute Zahl mag nicht sonderlich beeindrucken, aber bis es den Plan P gab, hatte die Arbeitsagentur sich daran versucht, Frauen aus dem Milieu zum Umstieg zu bewegen. Das Interesse war gleich Null.

An diesem sonnigen Mittag ist im La Strada viel die Rede von Prostitution und Prostituierten. Die Gesellschaft im Altstadtcafé ist eine überwiegend sozialpädagogische und vorwiegend weibliche. Diejenigen, über die gesprochen wird, sind nicht in Sicht.

Das Thema Prostitution schlägt hohe Wellen

Womöglich wäre ihre Meinung zum Anliegen der Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer interessant, die einmal mehr sagt, ginge es nach ihr, würde die Prostitution bundesweit verboten. Was Stuttgart betrifft, will Fezer dem Gemeinderat alsbald ein neues Papier vorlegen, um „die Lebensbedingungen von Prostituierten zu verbessern“. Das Thema sei „sehr hoch gehängt in der Verwaltung“. In der Tat ist viel Papier beschrieben worden, seit im Bundestag neue Gesetze ebenso heftig umstritten sind wie die alten und insbesondere in Stuttgart Oberbürgermeister Fritz Kuhn das Thema ebenfalls für sich entdeckt hat.

Die Gesellschaft hat sich versammelt, um das fünfjährige Bestehen des Projekts Plan P zu feiern, bei Musik, Sekt, Buffet und Festreden. Wie üblich, dankt so ziemlich jeder jedem, sei es für gute Arbeit, gute Zusammenarbeit oder Zuschüsse. Der Verein Lagaya findet Wohnungen für die Ausstiegswilligen, das Gesundheitsamt und die Arbeitsagentur vermitteln und überweisen Zuschüsse. Das Projekt sei etabliert und inzwischen nahezu ein Selbstläufer. Die Prostituierten verbreiteten das Angebot unter sich. Das darf nicht als Lobrede, sondern als erwiesen gelten. Die Nachfrage war im vergangenen Jahr so hoch, dass 25 Interessentinnen abgewiesen werden mussten. Was insofern bemerkenswert ist, als die meisten Huren allenfalls ein paar Monate, oft nur Wochen in einer Stadt verbringen.

Anders als im Gemeinderat oder gar Bundestag wird bei Zora eben nicht über, sondern mit den Betroffenen gesprochen. Vor fünf Jahren musste sie die ersten Klientinnen auf dem Gang empfangen, weil ihr Büro noch nicht eingerichtet war, erzählt Roller. Damals erstaunte sie, dass „die Frauen umgänglich und gewandt sind, wir lachen auch viel zusammen“.

Das Problem: Ihre beruflichen Perspektiven sind eher mau

Hingegen sind die Zahlen in Rollers aktueller Statistik trostlos. Die meisten ausstiegswilligen Prostituierten stammen aus Bulgarien oder Rumänien. Ernsthafte berufliche Perspektiven hatten sie nie und haben sie auch aktuell nicht. 70 Prozent fehlt jede Ausbildung. Bei weiteren 15 Prozent erkennt der deutsche Staat den Abschluss nicht an. Zwei Drittel der Frauen haben Kinder, die zumeist bei Verwandten in der Heimat aufwachsen. Dorthin fließt auch der größte Teil des Hurenlohns, sei es freiwillig oder unfreiwillig.

Fast drei Viertel der Prostituierten haben nie in einer anderen Branche Geld verdient. Das oberste Berufsziel der Mehrzahl ist, als Putzhilfe zu arbeiten. Immerhin hat mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen des Jahres 2014 einen Arbeitsplatz gefunden. Dabei ist die Zahl der Minijobberinnen halb so hoch wie die derjenigen, die mit regulärem Vertrag Vollzeit arbeiten.