Der britische Premier David Cameron hat der EU Zugeständnisse für sein Land abgerungen, die er seinem Volk am 23. Juni zur Abstimmung vorlegen will. Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson will bei dem Referendum dennoch für den Ausstieg werben.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Bereits am Tag nach Eröffnung der Referendumskampagne ist eine Schlacht um die weitere EU-Mitgliedschaft Großbritanniens entbrannt. Am Sonntag appellierte Premierminister David Cameron an seine Landsleute, sich keinen „Souveränitätsillusionen“ für den Fall eines Austritts hinzugeben: Nur als Teil der EU würden die Briten wirklichen Einfluss ausüben können und „sicherer, stärker und wohlhabender“ sein.

 

Dem widersprachen leidenschaftlich sechs der Minister Camerons, die sich dem Lager der EU-Gegner zugesellt haben. Stellvertretend für die „Gang of six“ erklärte Camerons Arbeitsminister, der Ex-Parteichef Iain Duncan Smith, weitere EU-Zugehörigkeit lasse „die Tür weit offen“ für Terrorattacken wie in Paris. Getarnt als Migranten könnten Terroristen durch Europa ziehen und unentdeckt auf der britischen Insel auftauchen.

Johnson sieht das Projekt EU in Gefahr

Am späten Sonntagnachmittag bestätigte der Londoner Bürgermeister Boris Johnson, dass er sich für einen britischen Austritt aus der EU engagieren werde. Der äußerst populäre Johnson wird von den Proeuropäern besonders gefürchtet als Kontrahent. Das „Projekt EU“ sei „in echter Gefahr, demokratisch außer Kontrolle zu geraten“, sagte Johnson. Es komme schlicht „zu viel Gesetzgebung aus Europa“. Die Briten hätten einen „besseren Deal“ verdient. Das Referendum findet am 23. Juni statt. Verkündet hatte Cameron das Datum wenige Stunden nach seiner Rückkehr vom Brüsseler Gipfel. Vor der Tür von No. 10 Downing Street verkündete er feierlich, er habe in Brüssel einen „Sonderstatus“ für sein Land in der EU ausgehandelt und könne den Verbleib in der Union empfehlen.

Auf einer Kabinettssitzung kurz zuvor hatte die Mehrheit der Minister diese Empfehlung gebilligt. Auch die Labour Party, die schottischen und walisischen Nationalisten und die britischen Grünen wollen in der nun beginnenden Kampagne die weitere britische Mitgliedschaft in der EU unterstützen. Am Sonntag strich Cameron erneut seinen „Verhandlungserfolg“ in Brüssel heraus. Er habe „Reformen“ für Großbritannien erkämpft, „die die wenigsten für möglich hielten“. Zu seinen Haupterfolgen zählt der Premier die Begrenzung von Sozialleistungszahlungen an Migranten und die Bescheinigung, dass Großbritannien vom EU-Ziel einer „immer engeren Union“ künftig ausdrücklich ausgenommen ist.

Meinungsforscher prophezeien knappes Resultat

Zur Brexit-Forderung der gegen ihn antretenden Minister, der Unabhängigkeitspartei Ukip und anderer EU-Gegner sagte Cameron, diese suche den Briten „eine Illusion von Souveränität“ vorzuspiegeln, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun habe. Außerhalb der EU verfüge Großbritannien „über keinerlei Macht, über keinerlei Kontrolle“. Cameron versprach, durch eine neue Gesetzesvorlage „in den nächsten Tagen“ die Hoheitsrechte des Parlaments gegenüber der EU noch zu unterstreichen. Der Ukip-Vorsitzende Nigel Farage meinte abfällig, Cameron könne nicht einmal sicher sein, dass das Europaparlament oder der Europäische Gerichtshof nicht noch ein Veto gegen die Brüsseler Vereinbarungen einlegen würden. „Wenn wir für den Austritt aus der EU stimmen, haben wir wenigstens eine Gewissheit“, sagte Farage. „Die Gewissheit, dass wir in unserem eigenen Land wieder das Sagen haben.“

Die Meinungsumfragen prophezeien zurzeit ein knappes Ergebnis. Das Pro-EU-Lager hofft, dass der kombinierte Einsatz der großen Parteien, der meisten Wirtschaftsbände und Gewerkschaften in den nächsten Wochen einen klaren Vorteil verschaffen wird. Die britischen Wettbüros meldeten allerdings am Sonntag, dass 88 Prozent der Wochenendwetten Einsätze für ein Ende der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens waren.