Die große Koalition bringt die Gesetzesnovelle vor der Wahl nicht mehr zustande. Experten warnen vor einem aufgeblähten Parlament und Millionen-Kosten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Seit vier Jahren ringen die Bundestagsfraktionen um eine Reform des umstrittenen Wahlrechts. Dazu wird es vor der nächsten Wahl am 24. September definitiv nicht mehr kommen. Das erfuhr die Stuttgarter Zeitung von führenden Vertretern der SPD-Fraktion. Weitere Gespräche seien nicht zielführend. Die Sozialdemokraten stellen auch die Dringlichkeit einer Novelle in Frage. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte kürzlich noch erklärt: „Ich kämpfe bis zum letzten Sitzungstag für eine Neuregelung.“ Für problematisch halten Experten vor allem die unkalkulierbare Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Politikwissenschaftler warnen gegenüber der StZ vor einer Aufblähung des Parlaments.

 

Im aktuellen Bundestag sitzen 630 statt der eigentlich vorgesehenen 598 Abgeordneten. Nach der Wahl könnten es 700 oder gar noch mehr werden. Davon geht zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung aus. Sie verweist auf Simulationsrechnungen auf der Basis von Umfragedaten aus 2016. Der Politologe Joachim Behnke von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen rechnet mit mindestens 20, unter Umständen aber auch mehr als 30 Überhangmandaten. Die würden dann nach dem bisher geltenden Wahlrecht Dutzende von Ausgleichsmandaten nach sich ziehen. Behnke zufolge könnte das Parlament auf 660 bis 700 Abgeordnete anwachsen. Die Trends, die sich in derzeitigen Umfragen spiegelten, verstärkten diesen Effekt noch. Im Moment gibt es vier Überhang- und 29 Ausgleichsmandate im Deutschen Bundestag.

Für den Bürger kaum nachvollziehbar

Auch der Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse warnt im StZ-Interview vor der „Gefahr der beträchtlichen Aufblähung des Bundestags“. Er kritisiert zudem: Das reformbedürftige Wahlrecht „leidet an mangelnder Transparenz“. Für Bürger sei es kaum nachvollziehbar, wie sich Mandate aus Stimmen errechneten.

114 000 Bürger unterstützen eine Petition des Bundes der Steuerzahler für eine Reform des Wahlrechts. Ihr Ziel heißt „Nein zu einem XXL-Bundestag“. Der Parlamentsbetrieb kostet zurzeit knapp 800 Millionen Euro jährlich. Wenn das Plenum sich weiter vergrößert, würde ein zusätzlicher Finanzbedarf in zweistelliger Millionenhöhe anfallen.

„Jede Regelung, die den Aufwuchs der Mandatszahl stärker begrenzt, ist besser als die bestehende Situation“, hatte Parlamentspräsident Lammert unlängst erklärt. Zum Scheitern der Wahlrechtsreform wollte er sich nicht äußern. Die Zahl der Sitze müsse gedeckelt werden, „sonst kommen wir in den nächsten Monaten in schwierige Diskussionen“, warnte Volker Kauder, Chef der Unionsfraktion. Er sorgt sich um die Arbeitsfähigkeit eines stark vergrößerten Bundestags. Der Gesetzgebungsprozess werde erschwert. „Natürlich ist auch zu berücksichtigen, dass ein größerer Bundestag mehr kostet“, sagte Kauder. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.gescheiterte-reform-des-wahlrechts-es-mangelt-an-transparenz.6d012aba-8a0e-4996-9b11-dc1975eb9e83.html?byPassDigCmsCache=1486658386230 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.reform-des-wahlrechts-gescheitert-bundestag-wird-zum-xxl-parlament.b20c7115-0951-48b7-b43c-fb415ad5eda3.html?byPassDigCmsCache=1486658356616 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.reform-des-wahlrechts-gescheitert-versaeumnis-zu-eigenen-gunsten.eb505181-226f-42c8-836d-e94c92b72ac9.html?byPassDigCmsCache=1486658312287