Die schleppende Auszahlung der Corona-Hilfen sorgt nicht nur bei Fellbacher Einzelhändlern und Gastronomen für Verdruss. Bundesweit wird über bürokratische Hürden, nachträglich geänderte Rahmenbedingungen und eine wahre Flut an Formularen geklagt.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Fellbach - Die schleppende Auszahlung der Corona-Hilfen sorgt nicht nur bei Fellbacher Einzelhändlern und Gastronomen für Verdruss. Bundesweit wird über bürokratische Hürden, nachträglich geänderte Rahmenbedingungen und eine wahre Flut an Formularen geklagt. Auch weil es Software-Probleme zwischen den Bearbeitungsprogrammen von Bund und Ländern gibt, war Ende Januar noch nicht mal die Hälfte der von der Politik versprochenen November-Hilfen ausbezahlt. Bei den Corona-Geldern für Dezember gab es für die allermeisten Unternehmen allenfalls eine Abschlagszahlung. Und: Selbst bei der Überbrückungshilfe II, die den Betrieben eigentlich bereits zum Ende der Sommerferien zur Verfügung stehen sollte, gibt es noch einen deutlichen Rückstand.

 

In die Kritik an der Abwicklung hat jüngst auch die Fellbacher Oberbürgermeisterin Gabriele Zull eingestimmt. „So sehr ich den Lockdown auch für notwendig halte, bitte ich doch eindringlich, dem Einzelhandel und der Gastronomie die versprochene Unterstützung zeitnah zukommen zu lassen“, schrieb die Rathauschefin in einem Brief an Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut von „sehr bitteren Rückmeldungen“. Durch Corona drohen aus ihrer Sicht für lebendige Innenstädte wichtige Strukturen dauerhaft wegzubrechen. Eine Antwort steht bisher aus. Wir haben bei lokalen Firmenchefs nachgefragt, ob es bei der Auszahlung wirklich so hapert.

„Jetzt müssen endlich auch Taten folgen“

Wenn Martin Oettinger genau nachrechnet, kann er es kaum glauben: Bereits den dritten Monat ist die Gastronomie nun schon wieder geschlossen. Das Frühjahr mitgezählt, ist es schon mehr als ein halbes Jahr. Dass bereits am 14. Februar eine Öffnung möglich sein wird, glaubt er nicht. „Unsere Branche wurde immer als erstes geschlossen und als letztes wieder aufgemacht, deshalb wird es bestimmt noch mal ein Monat dauern“, sagt Martin Hirsch, der mit seinem Bruder Michael das Hotel und Restaurant Hirsch, Oettingers Restaurant und die Weinstube im Schnitzbiegel in Schmiden leitet.

In der Pandemie haben die Brüder sich – wie er sagt – immer neu erfunden: Essen zum Mitnehmen, Mittagsmenüs und Gourmet-Boxen zum Fertigkochen. „Man muss und will ja was tun, auch für die Mitarbeiter, aber es geht an die Substanz.“ Die Familie halte mehr denn je zusammen und habe das Glück, dass vieles Eigentum sei, trotzdem werde es mental und finanziell anstrengender. „Wir hatten ein gutes Hygienekonzept für die Öffnung. Und die Gäste stärken uns den Rücken, aber mittlerweile mussten wir privat Geld einschießen.“

Deshalb hatten die beiden Brüder gleich im Oktober Anträge für die Coronahilfen gestellt. Anfang Januar erfolgte nun die Abschlagszahlung. „Wir bekamen gerade mal 20 Prozent.“ Auch wenn der Kreis- und Stadtrat versteht, wie Politik funktioniert, sind Frust und Enttäuschung groß. „Wir brauchen Perspektiven und Motivation zum Durchhalten. Wenn von schneller und unbürokratischer Hilfe gesprochen wird, müssen nun endlich auch Taten folgen“, sagt Oettinger.

„Ich verstehe das Gejammer nicht“

Nein, einfach so einstimmen ins Klagelied über die Probleme mit den Coronahilfen will Joachim Kurrle nicht. Der in Fellbach fast besser unter seinem Spitznamen Mize bekannte Zeltverleiher hat bei der Suche nach staatlicher Unterstützung zwar ebenfalls haarsträubende Verzögerungen erlebt. Und ohne die Hilfe eines Steuerberaters wäre es auch nichts geworden mit einer Finanzspritze von Bund und Land. Doch gar so chaotisch, wie alle Welt tut, sieht Kurrle die Abwicklung bei den Coronageldern nicht. „Ich verstehe das Gejammer nicht. Die Wahrheit ist doch: Wer seine Hausaufgaben macht, bekommt das Geld auch“, sagt der Unternehmer. Die beantragte November-Hilfe jedenfalls war zwei Tage nach Versand der ausgefüllten Formulare auch auf dem Konto. Und auch beim Fördergeld für den Dezember lief die Auszahlung laut Kurrle reibungslos. „Ich bin sonst auch einer, der gerne mal schimpft. Aber wenn man es richtig macht, dann läuft es auch“, betont er.

Allerdings gilt auch für Kurrle eine Einschränkung: So mal eben zwischen Tür und Angel lassen sich die Förderanträge nicht ausfüllen. „Ohne Beschäftigung mit dem Thema funktioniert es nicht. Die Formulare müssen für den Prüfer schlüssig sein und natürlich auch mit den Angaben beim Finanzamt zusammenpassen.“ Deutlich komplizierter als die Coronahilfe war laut Joachim Kurrle übrigens der über die IHK beantragte Tilgungszuschuss: „Das ging wochenlang hin und her, weil man ein Häkchen im Formular vergessen hat oder das Datum nicht stimmte“, erzählt er. Erst bei der achten Version ging der Antrag auch durch.

„Für viele Kollegen ist das ein echtes Problem“

Beim Gedanken an die Corona-Hilfen kann der Fellbacher Caterer Jörg Rauschenberger nur müde lächeln. Denn auf dem Konto des Unternehmens in der Schaflandstraße sind bisher allenfalls Teilbeträge des beantragten Geldes gelandet. „Was fange ich bei unserer Betriebsgröße denn mit 10 000 Euro November-Hilfe an?“ fragt er in Richtung Politik – und denkt an weniger kapitalstarke Kollegen, die nach erneut drei Monaten Lockdown finanziell längst mit dem Rücken zur Wand stehen. „Wir als Betrieb überleben das, weil wir sehr solide aufgestellt waren und vom Eigenkapital zehren können“, sagt der Unternehmer. „Aber für den Großteil der Branche ist das existenzbedrohend, ein echtes Drama. Es müsste viel, viel schneller gehen mit der Auszahlung“, stellt Jörg Rauschenberger fest – und fragt sich, wie lange es noch gehen soll mit dem Gastro-Lockdown.

Insgeheim rechnet der Unternehmer, dass die Küche vielleicht sogar bis Ostern kalt bleiben muss. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns einen Gefallen tun, wenn wir bei sinkenden Infektionszahlen schnell wieder aufmachen – und ein paar Wochen später wieder zu“, sagt er. Den erzwungen Leerlauf im Alltagsgeschäft hat das Catering-Unternehmen genutzt, um Weichen für die Zukunft zu stellen. Wegen des absehbaren Strukturwandels in der Automobilregion Stuttgart wurde eine Niederlassung in München aus der Taufe gehoben, die Partnerschaft mit Aramark bei der VfB-Gastronomie soll Auslastung sichern. Und neben dem Eventbereich will Rauschenberger verstärkt auf den Betrieb von Restaurants setzen.

„Erst im Dezember kam eine Antwort“

Gudrun Lack, Inhaberin der Buchhandlung im Fellbacher Rathaus-Carrée, hat sich beim Förderprogramm „Neustart Kultur“ der Bundesregierung schon im September beworben. „Ziel war die Unterstützung, um unsere Homepage zu verbessern und beispielsweise auch einen Imagefilm zu produzieren“, sagt Gudrun Lack. „Allerdings hat es bis Dezember gedauert, bis wir eine Antwort bekommen haben“, berichtet die Buchhändlerin. Mitten im Weihnachtsgeschäft hätten ihr Team und sie aber keinen Kopf mehr dafür gehabt. So sei das Projekt verschoben worden, das Förderprogramm sei bis April verlängert worden. Kurzarbeit habe sie nicht beantragt. „Wir hatten immer viel zu tun, um auf die neuen Vorgaben zu reagieren“, erzählt sie. Beispielsweise wurde ein Luftreinigungsgerät angeschafft, der Lieferdienst ausgebaut, ein Abholservice eingerichtet.

Im Frühjahr, als die Hilfen als Kredit gewährt wurden, habe ihr ihre Steuerberaterin geraten, lieber zunächst zu schauen, ob es auch anders zu stemmen sei. Außerdem habe sie sich vor dem hohen bürokratischen Aufwand gescheut, da sie schon im Buchladen ständig und schnell auf Neues reagieren musste. Für die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Rathaus-Carrée ist es entscheidend, dass die Stadt im gesamten attraktiv bleibt. „Den Schaufensterwettbewerb in Waiblingen finde ich eine tolle Aktion, das ist der passende Moment dafür“, blickt sie in die Nachbarstadt. Der Standort Fellbach habe Potenzial. So freue sie auch die Neueröffnung mitten in der Coronazeit, einer „Naturwerkstatt mit Blumenbinderei“ in der Hinteren Straße.