Eine neue Einrichtung für Autisten arbeitet mit der sogenannten ABA-Methode. Diese aus den USA stammende Therapie gilt unter Kritikern als äußerst bedenklich.

Korntal-Münchingen - Immer wieder macht das kleine Mädchen dieselben Bewegungen. Eine Frau sitzt neben ihm, fordert es auf, den blauen Klotz zu nehmen und es genauso wie sie auf einem braunen Klotz zu platzieren. „Tu das“, sagt die Frau und zeigt mit dem Finger auf die Stelle. Das Kind nimmt den blauen Klotz und platziert es auf dem braunen. Die Frau jubelt, kitzelt das Kind durch und beglückwünscht es. Dann folgt der nächste Klotz, und wieder bekommt das Kind ein Lob.

 

Dieses Lehrvideo auf der Online-Plattform Youtube zeigt, wie das kleine Mädchen das Spielen erlernen soll. Sie ist Autistin. Die Frau, die neben ihr sitzt, ist die Therapeutin. Und die Methode, mit der gearbeitet wird, nennt sich Applied Behavior Analysis (ABA), auf Deutsch: angewandte Verhaltenstherapie. Sie stammt, wie der Name schon vermuten lässt, aus der amerikanischen Forschung. In den USA wird sie seit Jahren in der Autismus-Therapie praktiziert und gilt dort als wirksam. Doch sie ist zugleich auch äußert umstritten.

Kritiker sprechen von Dressur

Auch in der Nähe von Stuttgart gibt es seit Kurzem ein Therapie-Zentrum, das auf die ABA-Methode spezialisiert ist. In Korntal-Münchingen hat im Februar das „Spark Centre for Autism“ eröffnet. Geleitet wird die Einrichtung von Elizabeth Speer, die mehr als acht Jahre Erfahrung im Umgang mit autistischen Kindern hat. Bereits vier Kinder seien in Betreuung, sagt Speer. Ihr Ziel sei es in erster Linie, das Verhalten der autistischen Kinder, das den Alltag störend beeinflusse, zu minimieren.

Autisten haben besonders Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, körperliche Nähe oder Augenkontakt ist ihnen meist unangenehm. Manche können nicht oder weniger gut sprechen. Andere wiederholen zwanghaft Verhaltensmuster oder beschäftigen sich intensiv mit Dingen wie Fahrplänen. Ihr Alltag ist somit stark eingeschränkt.

Das Training ist intensiv

Die ABA-Methode setzt hier an: Die Therapeuten machen ein korrektes Verhalten vor, die autistischen Kinder ahmen es nach. Gelingt es dem Kind, wird es mit Lob oder einem Lieblingsspielzeug belohnt. Das Training erfordert 20 bis 40 Stunden Zeit pro Woche. Die Übungen sind intensiv. Ebenso für die Eltern, die mit den Kindern zu Hause trainieren müssen.

Auch der Bruder der Münchingerin Eileen Wemmer ist Autist. Wie bei vielen anderen, die von der Entwicklungsstörung betroffen sind, ist der Alltag des Zwölfjährigen beeinträchtigt. Doch ihm deshalb sein Verhalten abzugewöhnen und ein neues anzutrainieren, hält Wemmer für falsch. Sie sieht die ABA-Methode kritisch: „Es geht hauptsächlich darum, die autistischen Menschen an einen Punkt zu bringen, dass sie so reagieren wie andere Menschen.“ Ihr Verhalten, das als negativ empfunden werde, wolle man lediglich beseitigen. „Die Methode nimmt den Menschen nicht so, wie er ist“, kritisiert Wemmer.

Auch im Internet hat sich Widerstand gegen die ABA-Therapie formiert. Im Forum der Seite www.aspies.de ist etwa von „Konditionierung“ und „Dressur“ die Rede. Eine Online-Petition aus dem Jahr 2013 spricht von einer „Pseudomethode, die als Therapie an Autisten für stolze Summen“ verkauft werde.

Der heftigen Kritik ist sich Elisabeth Speer bewusst. „Wir gehen offen damit um“, sagt die Leiterin des Korntaler Therapiezentrums und verweist auf Studien, die die Wirksamkeit der Methode beweisen würden. Zudem: „In den USA ist die Methode führend“, erklärt Speer. Und zugleich verpflichtend: „Dort müssen sich Autisten mit der ABA-Methode behandeln lassen“, sagt Ragna Cordes vom Bremer Institut für Autismusforschung. In Deutschland hingegen sei diese Therapie nur eine Option neben anderen.

Die Kritik, die vor allem in den letzten zwei Jahren aufgekommen sei, kann sich Cordes nicht erklären: „Eine solche Kampagne gegen eine Therapie habe ich bisher noch nicht erlebt“, sagt sie.

Seit 2002 arbeite sie mit der Methode. Und das offenbar mit Erfolg. „Im Vergleich haben wir mit der ABA-Therapie deutliche Entwicklungen bei den Kindern zu verzeichnen“, sagt Cordes. Momentan werte man am Institut eine Evaluationsstudie aus, die die Wirksamkeit der Methode untermauern soll. Für sie steht fest: „Autistische Kinder können nicht von selbst lernen. Das müssen wir ihnen beibringen.“