Kurz bevor sie an der A 8 ihre elfjährige Tochter erstochen und ihren zweijährigen Sohn schwer verletzt hat, ist eine 36-jährige Frau noch in psychologischer Behandlung gewesen. Warum konnte die Psychiaterin die Tat nicht verhindern?

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm/Bad Ditzenbach - Die handschriftlichen Notizen der Angeklagten sind teilweise kaum zu entziffern. Sie stehen auf einem Supermarkt-Einkaufszettel und der Rückseite eines Kontoauszuges. Beide Papiere gehören zur Indiziensammlung über eine schreckliche Bluttat und datieren vom 9. Oktober 2014. An einer Stelle steht: „Traut keinem. Sie haben ein Spiel daraus gemacht. . . (unleserliche Schrift). . . Lieber sterben sie, als euch. . .(unleserlich) . . . zu überlassen.“ Sind das die Notizen einer Frau und Mutter, die damals bereits ins Wahnhafte abgeglitten war?

 

Zehn Tage später, am 19. Oktober, hat die 36-jährige Angeklagte aus Bad Ditzenbach (Kreis Göppingen) mutmaßlich ihre elfjährige Tochter an einer Baustelle der A 8 bei Merklingen auf der Rückbank eines Autos erstochen, den zweijährigen Sohn schwer verletzt. Das Ulmer Landgericht hat sich am dritten Prozesstag weiter mit der Frage befasst, ob die geständige Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben könnte. Breiten Raum nahm die Befragung einer Psychotherapeutin der Göppinger Klinik Christophsbad ein. Bei ihr ist die Angeklagte vier Mal zu Gesprächssitzungen erschienen, die letzte war am 25. September 2014.

Schlafmittel verordnet

Im Vorgespräch, so die Zeugin, habe die 36-Jährige nur von Schlaflosigkeit und einer gedrückten Stimmung gesprochen. „Sie hat mir eine depressive Symptomatik geschildert“, so die Psychologin. Sie habe zunächst Schlafmittel verordnet, später zusätzlich Antidepressiva. Den Vorschlag einer stationären Therapie habe die Patientin abgelehnt. „Sie sagte mir, das wolle sie nicht. Da hatte ich das Gefühl, wir kommen an dem Punkt nicht weiter.“

Im Spätsommer habe das Christophsbad eine psychosomatische Therapie beantragt, doch sei sie an der Kostenübernahme gescheitert. Zwar habe die Patientin vom Mord ihres Mannes in der Schweiz gesprochen, über die Sorgen um die Kinder und dass sie das Gefühl habe, verfolgt zu werden. Doch bei der letzten Sitzung am 25. September – drei Wochen vor der Tat – sei die 36-Jährige „in bester Stimmung gewesen“.

Der Gutachter eröffnet das Kreuzverhör

Der psychiatrische Gutachter Peter Winckler wollte Genaueres wissen: „Haben Sie nachgefragt, was genau hinter dem Rücken der Patientin geredet worden sein soll?“ Die Zeugin konnte sich nicht „konkret“ erinnern. Winckler: „Wussten Sie aus sicherer Quelle vom Mord des Ehemannes in der Schweiz – etwa aus den Medien?“ – „Nein, aber ihre Erzählung war recht stimmig.“ Winckler: „Hatten Sie das Gefühl, dass das bei der Angeklagten in Richtung Psychose laufen könnte?“ Antwort: „Nein.“ Winckler: „Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der Tat hörten?“ Antwort: „Ich war fassungslos.“ Sie habe die Patientin zuvor jedoch „nie mit einem schlechten Gefühl gehen lassen oder so“.

Bevor die Mutter der Angeklagten aufgerufen wurde, die erzählte, wie ihre Tochter fortwährend von Überwachungshubschraubern und abgehörten Telefonen fantasierte, stellte der Verteidiger Ingo Hoffmann noch eine Frage an die Psychologin: Wie lange denn die Therapiegespräche jeweils gedauert hätten? 30 Minuten, lautete die Auskunft – also insgesamt gerade mal rund zweieinhalb Stunden. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetzt.