Nach den Tricksereien bei den Stickoxiden rückt die Schummelei der Autobauer bei den Verbrauchswerten ins Rampenlicht. Laut einer aktuellen Studie hat sich die Abweichung zwischen Werksangaben und realem Spritverbrauch massiv vergrößert.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Dass man die Verbrauchsangaben der Autohersteller nicht für bare Münze nehmen kann, ist lange bekannt. Allerdings nimmt die Lücke zwischen Werkangabe und realem Verbrauch immer größere Ausmaße an. Nach einer aktuellen Veröffentlichung des Forschungsverbunds ICCT, der auch die VW-Dieselaffäre mit aufgedeckt hatte, beträgt die mittlere Abweichung bei aktuellen Pkw-Modellen 42 Prozent. 2001 hatte die Lücke bei neun Prozent gelegen. Seitdem ist sie ständig gewachsen. ICCT-Mitglied Uwe Tietge spricht von einem „neuen Höchststand“.

 

Höhere Verbrauchswerte haben auch höhere CO2-Emissionen zur Folge. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) stellt fest, dass die CO2-Werte seit 2010 „bei den Neuzulassungen in der Realität nicht mehr gesunken“ sind. Die Reduktionsziele der EU dürften demnach deutlich verfehlt worden sein. Die DUH hatte bereits im Februar 2015 auf stark überhöhte Verbrauchs- und Emissionswerte hingewiesen und sieht sich durch die ICCT-Studie bestätigt. Da sich die CO2-Emissionen auf die Kfz-Steuer auswirken, seien dem Staat durch die zu niedrige Einstufung der Autos allein 2016 rund 2,2 Milliarden Euro entgangen.

Die größten Abweichungen zwischen Theorie und Praxis haben die Experten bei den leistungsstarken und schweren Fahrzeugen des Premiumsegments ermittelt – im Durchschnitt liege der Mehrverbrauch hier bei mehr als 50 Prozent. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer führt die besonders hohen Abweichungen bei großen Modellen von Audi, Daimler, BMW & Co auch darauf zurück, „dass in diese Autos besonders viele elektronische Verbraucher eingebaut werden“. Diese treiben Spritverbrauch und Gewicht in die Höhe. Auch würden diese Fahrzeuge meist mit höheren Geschwindigkeiten bewegt als schwächer motorisierte Autos. Im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) werden Pkw auf dem Prüfstand mit maximal 120 km/h getestet.

Verbrauchsdaten von rund einer Million Autos

Das ICCT hat für seine Studie rund eine Million Fahrzeuge der Jahre 2001 bis 2015 untersucht. Die Experten stützen ihr Urteil auf Angaben privater Autonutzer bei Internet-Verbrauchsportalen, Tankdaten von Leasingfirmen, Tests von Fachzeitschriften sowie auf Messungen von Automobilclubs. Zu dem höheren Klimagasausstoß kommen auch höhere Spritkosten, die sich aus dem Mehrverbrauch ergeben.

Die Reaktion der Autoindustrie auf die neue Studie fällt zurückhaltend aus. Zwar bezeichnet der Verband der Automobilindustrie die vom ICCT vorgelegten Daten als „nur bedingt belastbar“. Gleichzeitig räumt der VDA aber gegenüber der Nachrichtenagentur dpa „ärgerliche Unterschiede zwischen Labor- und Straßenwerten“ ein – und gelobt Besserung: Die ab 2017 geplanten Straßenmessungen und neue Regeln für Prüfstandstests würden solche Diskrepanzen verringern.

ICCT-Europachef Peter Mock führt die wachsenden Abweichungen von den Werksangaben darauf zurück, dass die Autobauer „immer systematischer Schlupflöcher in der bestehenden Regulierung ausnutzen“. In einem Papier der DUH werden die gängigsten dieser Tricks aufgelistet. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Ermittlung des Fahrwiderstands, der bei den späteren Prüfstandmessungen zugrunde gelegt wird. Dazu wird ein Fahrzeug auf eine bestimmte Geschwindigkeit beschleunigt und ausrollen gelassen. Je weiter es kommt, desto niedriger der Fahrwiderstand.

Alles was möglich ist, wird optimiert

Per Gesetz ist beim Ausrolltest ein Gefälle von bis zu 1,5 Prozent erlaubt. Zudem verwenden die Hersteller laut DUH auf den Teststrecken besonders reibungsarme Beläge. Hinzu kommen übermäßig stark aufgepumpte und rollwiderstandsoptimierte Reifen. Der Luftwiderstand wird durch Abkleben von Lüftungsöffnungen verringert. Das Drehen an diesen und weiteren Stellschrauben hat zur Folge, dass die Autos auf dem Prüfstand mit einem unrealistisch niedrigen Fahrwiderstand getestet werden. Auch beim eigentlichen Test, dessen Vorgaben ohnehin schon sehr lax sind, wird kräftig getrickst. Spezialöle verringern die innere Reibung, elektrische Verbraucher oder die Klimaanlage werden abgestellt. Hinzu kommen Motorsteuerungen, die die Prüfstandsituation erkennen und in den Sparmodus schalten – ganz ähnlich wie bei den Stickoxiden.

Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hatte bei Nachmessungen ebenfalls überhöhte CO2-Werte ermittelt. Die Messprotokolle wurden aber bislang nicht veröffentlicht. Die DUH will in einem Rechtsstreit die Herausgabe der Daten erreichen. Die betroffenen Fahrzeuge erfüllten nicht die Vorgaben der Typzulassung und müssten stillgelegt werden, fordert die Organisation. „Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen“, heißt es dazu im Bundesverkehrsministerium, dem das KBA untersteht. Dudenhöffer führt das Ausmaß der legalen und illegalen Tricksereien auf eine „enge Verflechtung zwischen Autoindustrie und Politik“ zurück. Nun müssten endlich alle Fakten auf den Tisch.

Nicht nur in der Autoindustrie wird getrickst

Kühlschrank Die Energielabels auf Hausgeräten sind ein wichtiges Kaufargument. Doch auch hier wird der Verbrauch unter unrealistischen Bedingungen ermittelt. So bleiben Kühlschränke bei der Messung die ganze Zeit zu. Zudem sind sie leer, enthalten also keine Lebensmittel, die sie herunterkühlen müssten. Bei Tests europäischer Verbraucherverbände verbrauchte ein Kühlschrank in der Praxis zwölf Prozent mehr Strom als angegeben.

Abweichung Im Rahmen der im Frühjahr vorgestellten Untersuchung wurden 20 Gerätegruppen geprüft – darunter auch Fernseher, Geschirrspüler oder Wasserkocher. 18 von 100 Produkten hielten die EU-Effizienzvorgaben nicht ein, manche brauchten 30 Prozent mehr Strom als angegeben. Durch die irreführende Kennzeichnung sind die Betriebskosten höher als aufgrund der Herstellerangaben zu erwarten. Bei einem Geschirrspüler haben die Experten über die gesamte Nutzungsdauer Mehrkosten von fast 190 Euro errechnet. Hinzu kommt eine stärkere Umweltbelastung. Auch der Stromverbrauch und die Leuchtkraft von Lampen weichen häufig von den Angaben ab.

Forderung
Die Hersteller nutzen bei der Verbrauchsmessung in der Regel legale Schlupflöcher. Ähnlich wie bei Autos fordern Verbraucherschützer deshalb auch hier realitätsnähere Tests.