Am Beispiel der Umweltzonen zeigt sich, wie der Lobbyverein EUGT agiert hat: die Risiken durch Schadstoffe wurden kleingeredet, Schutzmaßnahmen für unwirksam erklärt. Nun wird ein Orden des Chefexperten geprüft.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Ehrung war der Bundesumweltministerin so wichtig, dass sie sie persönlich vornahm. Erst vor zweieinhalb Jahren überreichte Barbara Hendricks (SPD) einem emeritierten Professor das Große Verdienstkreuz mit Stern. Der Toxikologe werde für seine „Leistungen zum Schutz von Mensch und Umwelt“ ausgezeichnet, heißt es auf der Homepage seiner Hochschule. Besonders gelobt habe Hendricks sein „Engagement für das Allgemeinwohl“ und seine „nicht interessengeleitete Politikberatung“. Ein Foto zeigt die lächelnde Ministerin und den ernst blickenden Professor mit der Ordenskassette.

 

Heute klingt die Begründung vom Juli 2015 seltsam schräg, denn der Geehrte war Helmut Greim (82), Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor, kurz EUGT. Seit bekannt wurde, dass der von der Autoindustrie getragene Lobbyverein sogar mit dubiosen Affenversuchen die Unschädlichkeit von Dieselabgasen zu beweisen versuchte, wird auch Greims Rolle kritisch hinterfragt – wieder einmal, denn auch bei Themen wie Glyphosat oder Holzschutzmittel galt er als ausgesprochen industriefreundlich. Die Grünen im Bundestag fordern nun, ihm den Orden abzuerkennen; für den Vizefraktionschef Oliver Krischer ist die Auszeichnung Ausdruck der „Kumpanei zwischen großer Koalition und Industrie“. Hendricks‘ Ministerium hat bei Greim eine Stellungnahme angefordert, was er von den Versuchen wusste.

Die Losung bei Albert Einstein entlehnt

Tatsächlich frappiert es, wie unkritisch die Politik mit Greim umging – nicht nur die Umweltministerin, sondern auch der Bundestag. Im Untersuchungsausschuss zur Dieselaffäre durfte der Toxikologe als von Union und SPD benannter Sachverständiger bekunden, Stickstoffdioxid (NO2) sei gar nicht so schlimm. Ähnlich war die Zielrichtung des Affenversuches. Auch das Aachener Experiment mit Menschen, die keine Wirkung auf NO2 zeigten, sollte dieses Bild abrunden.

Risiken und Gefahren kleinreden, Warnungen entkräften, Schutzmaßnahmen als unnötig oder wirkungslos entwerten – das zieht sich wie ein roter Faden durch den EUGT-Report, noch dazu mit aufklärerischer Geste. „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom“, wird vorab Albert Einstein zitiert.

„Moderner Diesel reinigt die Luft“

Dieselabgase, zum Beispiel, sollen beim Menschen Krebs erregen? Alle Studien dazu zeigten „relevante methodische Schwächen“, entgegnet die EUGT. Auch die Begründung der Internationalen Krebsforschungsagentur von 2012 liefere „keine Hinweise auf ein mögliches gesundheitliches Risiko“ bei modernen Motoren. Im Gegenteil: Beim „Clean Diesel“ würden Schadstoffe „auf ein Minimum reduziert“, darf ein Experte per EUGT-Newsletter verkünden, Partikel und Stickstoffdioxid sänken „auf ein homöopathisches Niveau“. Sein Fazit: „Man könnte fast sagen, dass ein moderner Diesel in vielen Situationen sozusagen die Luft reinigt.“ Die Sätze stammen von Ulrich Eichhorn, damals Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie. Seit 2016 ist er Leiter Forschung und Entwicklung bei Volkswagen.

Besonders intensiv widmet sich der Lobbyklub den Umweltzonen, mit denen die Politik auf die immer dickere Luft in den Städten reagiert. Zwei Studien untersuchen deren Wirksamkeit, eine weitere die Messstationen. Die Diskussion werde „oft nur mit unzureichender Sachkenntnis geführt“ oder sei „von Vorurteilen geleitet“, beklagt die EUGT. Dem setzt sie ihre Fakten entgegen. Die erste Stufe der Umweltzonen, so das Ergebnis einer Datenauswertung, habe herzlich wenig gebracht: „Alle Analysewerte liegen – zum Teil deutlich – unter den prognostizierten Feinstaubreduktionen.“ Auch die NO2-Werte würden kaum beeinflusst. Kritisch hinterfragt wird zudem die Lage der Messstationen. Wenn sie wie in Stuttgart nahe an Straßen stünden, würden die Werte verzerrt. Da sich Menschen dort kaum oder nur kurz aufhielten, seien sie nicht repräsentativ.

„Teils absurde Negierung von Basiswissen“

Die Standorte der deutschen Stationen, deren Kriterien die EU vorgibt, wurden von Brüssel gerade erst bestätigt. Eine Studie dazu soll demnächst veröffentlicht werden. Dass die längst weiterentwickelten Umweltzonen funktionieren, steht für das Umweltbundesamt außer Frage: Sie seien eine „sehr wirksame Maßnahme zur Reduzierung der Feinstaubbelastung“, heißt es in einer aktuellen Bilanz der Behörde. Bei Stickstoffdioxid aber bestehe weiter hoher Handlungsbedarf.

Vor einigen Jahren aber, als die EUGT-Studien kamen, waren die Umweltzonen noch sehr viel umstrittener. Auch der ADAC rügte damals, die Einschränkungen für Autofahrer stünden in keinem Verhältnis zum Effekt. Die Experten der Autolobby – ein Autor saß auch im Beirat des Vereins – stießen in der Fachwelt zwar auch auf Widerspruch, aber unterm Strich gelang es, in Politik und Öffentlichkeit Zweifel zu säen. Bei der Verteidigung der Umweltzonen, sagt Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe, hätten die EUGT-Studien „uns extrem Arbeit bereitet“; nur durch die „teilweise absurde Negierung von Basiswissen“ und wissenschaftlichen Erkenntnissen etwa der Weltgesundheitsorganisation sei es der DUH gelungen gegenzuhalten. Insgesamt habe die „Fake-Science-Organisation“ für Umwelt und Verbraucher „enormen Schaden verursacht“, resümiert Resch.

Folgen für Umweltzone in Graz

Ganz konkret wirkte sich die Lobbyarbeit im österreichischen Graz aus, wo Bürger auf die Einrichtung einer Umweltzone drangen. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark wies eine Beschwerde gegen die Ablehnung 2014 zurück – und bezog sich ausdrücklich auf die EUGT. Deren „umfassende Überprüfung“ habe gezeigt, dass die Reduzierung des Feinstaubs geringer ausfalle als erwartet. Die Kläger reagierten empört: Es sei „nicht nachvollziehbar, weshalb zur Beurteilung der Wirksamkeit von Umweltzonen nur eine einzelne Studie herangezogen wurde“.

Besorgte Bürger wie die Grazer mussten stattdessen befürchten, als hysterisch hingestellt zu werden. Gerade in der Umweltdiskussion gebe es „unnötige Verunsicherung“ und Ängste, beklagte der EUGT-Vorsitzende Gunter Zimmermeyer einmal. Einen Schwerpunkt widmete die Organisation daher der „Risikobewertung“. Per Newsletter geißelte ein Psychologie-Professor 2014 die „heutige mediale Besessenheit vom Risiko“ und dozierte, das Leben sei eben immer riskant: „Wer ein Risiko vermeidet, geht ein anderes ein.“ Gerade bei der Festlegung von Grenzwerten dürfe man sich „nicht von Risikowahrnehmungen treiben lassen“. Wichtig sei deren Korrektur durch die „praktische Vernunft“. „Eine sachgerechte Kommunikation von Risiken“, sekundierte der Beiratschef Greim, sei „eine der schwierigsten Aufgaben in Wissenschaft und Öffentlichkeit“.

Keine Gemeinnützigkeit beantragt

Das Risiko von Greim, sein Verdienstkreuz zu verlieren, dürfte gering sein. Es muss schon Gravierendes zusammenkommen, bis jemandem ein Orden entzogen wird. Man warte noch auf die erbetene Stellungnahme, hieß es am Montag im Umweltministerium. Den Einsatz fürs Gemeinwohl, für den ihr Beiratschef geehrt wurde, nahm die EUGT für sich selbst übrigens nicht in Anspruch. Ihr Auftrag klang zwar so gemeinnützig, dass die Frage aufkam, ob sie wohl die steuerliche Anerkennung dafür beantragt habe. Doch das dementierte ein VW-Sprecher klipp und klar.