Der Ex-Chef von Renault und Nissan-Manager, Carlos Ghosn, ist in Japan erneut verhaftet worden. Der Fall wird zunehmend zu einer Fehde zwischen einem vermeintlich größenwahnsinnigen Manager und einer womöglich fragwürdig motivierten Justiz.

Tokio - Nun sitzt er doch wieder hinter Gittern. Der Mann, der immerzu seine Unschuld beteuert hat und erst Anfang März an die freie Luft marschiert war, musste am Donnerstagmorgen japanischer Zeit zurück in seine Zelle in Tokio. Damit geht eines der spektakulärsten Strafverfahren der letzten Jahre in die nächste Runde. Es ist die Geschichte eines offenbar nimmersatten Einkommensmillionärs, und ihm gegenüber steht eine harte Justiz, bei der sich immer mehr fragen: Hat sie trotz allem vielleicht den Bogen überspannt?

 

Der Fall um Carlos Ghosn begann Ende November, als der damalige Chef der Autobauer Nissan und Renault bei seiner Landung per Privatjet in Japan direkt vom Flughafen in einen Polizeiwagen geführt wurde. Der Vorwurf gegen den gebürtigen Brasilianer libanesischer Eltern: Zwischen 2011 und 2015 habe er Einkommen in Höhe von umgerechnet 38,8 Millionen Euro verschwiegen und damit seinen Arbeitgeber Nissan sowie den Fiskus betrogen. Aus dem einst gefeierten Manager, der Nissan mit Kostensenkungen saniert und so fast den Status eines Popstars erhalten hatte, war binnen Tagen ein Verbrecher geworden. Die Öffentlichkeit war sich sicher: Ghosn muss schuldig sein. Im japanischen Kontext sprechen die Statistiken zunächst gegen den Manager. Denn wird die Staatsanwaltschaft erst aktiv, so enden die Fälle mit einer Wahrscheinlichkeit von weit über 99 Prozent mit einem Schuldspruch gegen den Angeklagten. Kritiker betonen allerdings, dass viele der Urteile auf der Basis von Schuldgeständnissen gesprochen werden. Und die wiederum, so gibt unter anderem Amnesty International zu bedenken, werden durch harsche Verhörmethoden mitunter erzwungen. Schließlich kann die Justiz Menschen bis zu 23 Tage ohne offizielle Anklage oder Zugang zu einem Anwalt festnehmen, was sich dann durch eine Neuverhaftung wiederholen lässt.

108 Tage in Haft

So saß Carlos Ghosn insgesamt 108 Tage in Haft, bis er am 6. März gegen eine Kaution von umgerechnet 7,9 Millionen Euro freigelassen wurde. Schon dieser Coup, der Ghosns Aufgebot mehrerer prominenter Anwälte gelang, war für Japans Justiz eine Sensation. Auch die neuerliche Verhaftung ist eine Überraschung. Die neuen Vorwürfe gegen Ghosn ähneln nämlich den alten – sie betreffen nur einen anderen Zeitraum. Zwischen 2015 und 2018 soll der 65-jährige durch Veruntreuungen rund 4,5 Millionen Euro Verluste bei Nissan verursacht haben. Ghosn, der durch die Bedingungen für seine Freilassung zuletzt kaum Zugang zum Internet oder Textnachrichten hatte, sieht seine „Rechte als Bürger“ nun besonders verletzt. Er beteuert zudem, dass die Geldflüsse, die gegen ihn ins Feld geführt werden, kein Gesetz verletzt hätten und sein Arbeitgeber im relevanten Ausmaß informiert gewesen sei. Erst am Mittwoch hatte Ghosn über Twitter angekündigt, für nächsten Donnerstag eine persönliche Pressekonferenz einberufen zu wollen, indem er über die Wahrheit seiner Causa informieren würde. Nun heißt es aus dem Ghosn-Camp, die Justiz und Nissan wollten ihn mit der Verhaftung mundtot machen.

Welchen Vergehens hat sich Carlos Ghosn wirklich schuldig gemacht? Die moralische Obszönität, exorbitante Einkommen einzufordern, ist schwer von der Hand zu weisen. Für seine Posten bei Renault, Nissan und ab 2016 auch Mitsubishi kassierte Ghosn zuletzt knapp 20 Millionen Euro im Jahr. Selbst in der mehr als fürstlich bezahlten Klasse der Konzernbosse ist das viel und stellte für Japan auch noch einen Rekord auf. Ghosn nahm fünfmal so viel ein wie Akio Toyoda, der mit Toyota den größten Autobauer der Welt anführt. Auch die Privatjets, die üppigen Wohnungen rund um den Globus und weitere Extravaganzen lassen den Mann nicht gerade gut aussehen. Weniger klar ist aber, ob er wirklich das Recht gebrochen hat. Vermehrt ist zu hören, dass das Management von Nissan, das sich gegen eine von Ghosn geplante Fusion mit Renault sträubte, ihren Chef loswerden wollte und ihn deshalb auslieferte. In den Augen der Staatsanwaltschaft wiederum könnte das wahre Vergehen Ghosns nicht Raub, sondern Gier gewesen sein. Dies glaubt jedenfalls Tomohiro Ishikawa, der aus Erfahrung sprechen will.

Ansehen der japanischen Rechtsprechung droht Schaden zu nehmen

Als Parlamentsabgeordneter der linksliberalen Demokratischen Partei wurde Ishikawa 2010 für die Annahme von Bestechungsgeldern angeklagt. Nach drei Wochen in Haft und täglich zwölf Stunden Verhörs ohne Zugang zu einem Anwalt machte er ein abgeschwächtes Geständnis, wurde zu zwei Jahren verurteilt. „Sie zwingen einen zu dem Geständnis, das ihren eigenen Vorstellungen entspricht“, sagte Ishikawa in einem Gespräch mit dem britischen Sender BBC über die japanischen Verhörtechniken. Und: „Sie haben nicht aufgeschrieben, was ich sagte.“

Nicht auszuschließen ist vor diesem Hintergrund, dass auch Carlos Ghosn nun mürbe geklopft werden soll. Ließe sich so ein Vorwurf erhärten, wäre nicht nur das Ansehen der japanischen Rechtsprechung, sondern auch jenes der Staatsanwaltschaft, deren Impulsen die Justiz so häufig nachgibt, arg beschädigt. Laut Tomohiro Ishikawa sehen sich die Staatsanwälte heute, in Zeiten steigender ökonomischer Ungleichheit in Japan, zudem politisch motiviert. „Sie wollen einen Namen haben als Institution, die die Reichen zur Strecke bringt.“