Wer nicht sagen kann, welcher Physiker die Relativitätstheorie formuliert hat, dem würde man gemeinhin eine Bildungslücke attestieren. Für den Informatiker Marc Toussaint hält sich das Nichtwissen in diesem Fall jedoch in Grenzen: Es handelt sich gerade einmal um eine Wissenslücke von zehn Bit, denn so wenige Daten würden genügen, um Albert Einstein anhand einer Nummer in einer Liste bedeutender Physiker zu identifizieren. Wissenschaftler, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen, sehen die Welt mit anderen Augen: Für sie zeigt jemand, der Albert Einstein nicht kennt, nicht etwa ein überraschendes Desinteresse an wissenschaftlichen Themen, sondern bloß das Nichtwissen eines Namens. Diese Lücke lässt sich leicht schließen, indem man den Namen nennt.

 

Viel schwieriger ist es hingegen, einer Maschine zu erklären, wie man Klötze stapelt. Ein Klotz bleibt zum Beispiel nur auf dem anderen, wenn sein Schwerpunkt nicht über den Rand des unteren Klotzes hinausragt. Aber die Maschinen, mit denen sich Marc Toussaint beschäftigt, wissen nichts über physikalische Zusammenhänge und müssen das erst lernen wie ein kleines Kind. In der Vortragsreihe „Fragen an die Wissenschaft“ der VHS Stuttgart hat Toussaint kürzlich erklärt, was ihn an solchen nichtwissenden Robotern interessiert.

Scherben machen Maschinen schlau

Toussaint ist seit gut einem Jahr Professor an der Universität Stuttgart und hat sich dort ein Labor eingerichtet: eine Art Wohnzimmer für seinen etwa mannshohen Roboter. Im Labor gibt es keine Kabel, keine Flüssigkeiten und auch sonst nichts, was sich leicht verformt. Dafür kann der Roboter Stühle, Tische, Schränke und Regale erkunden. Vielleicht kommt er darauf, dass man am Knauf einer Schublade ziehen kann, um den Inhalt der Schublade zu inspizieren. Aus Toussaints Sicht geht es darum, die mathematische Theorie des Nichtwissens in einem realen Umfeld anzuwenden: Der Roboter soll sein Nichtwissen über die Welt reduzieren und muss dabei immer abschätzen, durch welche Handlung er am meisten lernen würde.

Was nach Spielerei klingt, wird vielerorts schon angewendet. Zwei Doktoranden Toussaints sind zum Onlinehändler Zalando gegangen. Dort lernen die Computer die Vorlieben der Kunden einzuschätzen und bei Bedarf auch deren Kreditwürdigkeit. In der Gesichtserkennung und beim Filtern von Spam-Mails werden die Prinzipien des maschinellen Lernens ebenfalls eingesetzt. Toussaint verlässt mit seinem Roboter bloß die virtuelle Welt. Ob etwas kaputtgehen könne, fragt ein Zuhörer. Toussaint nimmt ein Glas in die Hand und sagt: „Ich wäre enttäuscht, wenn der Roboter das Glas nicht fallen lassen würde. Aus informationstheoretischer Sicht kann man sehr viel daraus lernen.“

Vier Forscher aus dem Labor für Neurorobotik der Humboldt-Universität Berlin sind im Raum: Sie haben Myon aufgebaut, an ihre Laptops angeschlossen und so in Position gebracht, dass er nicht umfällt. Man kann sich kaum vorstellen, dass der tapsige Roboter einmal auf der Bühne schauspielern soll. Aber sah es nicht auch bei Eliza hoffnungslos aus? Und könnte ihn das Publikum nicht gerade wegen seiner Schwächen lieben? „Es ist der Anfang einer langen Reise“, sagt Simon Will.

Pläne gibt es schon: Myon soll nicht nur das Dirigieren lernen, die Schauspieler von Gob Squad wollen ihn auch zu einer Aufführung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ mitnehmen. Der Roboter wird in die Welt des Theaters eingeführt. Die Kulturstiftung des Bundes und die Schering-Stiftung fördern das Projekt; die Mittel decken die Kosten für Wartung und Transport des Roboters. Wozu Myon am Ende in der Lage sein wird und ob das eine Aufführung trägt, wissen die Schauspieler nicht. Der ungewisse Ausgang gehört zum Experiment: „Statt ein Skript zu schreiben, werden wir darauf reagieren, wie sich die Dinge entwickeln“, sagt Simon Will.

Seine Konstrukteure sehen in Myon keine Marionette

Das passt zu den Vorstellungen von Manfred Hild, dem Leiter der Forschergruppe. Auch er kann nicht sagen, was die Schauspieler erwartet, denn Myon lernt selbstständig. Er will den Roboter nicht auf bestimmte Verhaltensweisen programmieren, damit er sich wie eine Marionette verhält. Er nutzt auch keine Programme aus der Fachrichtung des maschinellen Lernens, die derzeit von vielen Fachkollegen entwickelt werden (siehe den Artikel auf der 2. Seite). Myon arbeitet vielmehr mit einfachen Prinzipien, die es ihm ermöglichen, auch mit Situationen zurechtzukommen, die kein Programmierer vorhergesehen hat. Seine Beine verfügen zum Beispiel über je drei Gelenke, deren Elektromotoren sich gegen die Schwerkraft drehen. Auch ohne zentrale Steuerung können sich die Beine dadurch selbstständig aufrichten.

Nach und nach soll Myon mit solchen Prinzipien ausgestattet werden. Ihn soll es zum Beispiel stören, wenn einer seiner Motoren überhitzt oder wenn er gestoßen wird. Wenn sich das wiederholt, wird Myon versuchen, entsprechende Situationen zu meiden. „So bekommt ein System ein Eigenleben“, sagt Manfred Hild, „und die Chance, Intelligenz zu entwickeln.“

Er will den Zuschauern einen echten autonomen Roboter vorführen. Aus Kinofilmen kennt man Roboter, die schwierige und langweilige Aufgaben übernehmen. Aber wären intelligente Maschinen wirklich daran interessiert, Wäsche zu waschen und die Wohnung zu putzen, fragt Manfred Hild. „Bei diesen Visionen lügen wir uns doch in die Tasche.“ Auch dass intelligente Roboter gefährlich werden könnten, hält er für übertrieben: „Ich hoffe, dass die Zuschauer bemerken werden, wie fragil die autonomen Systeme sind.“ Er denkt zum Beispiel daran, dem Publikum einen Einblick in das Innenleben Myons zu geben: Auf einem Monitor könnte man das Bild zeigen, das der Roboter mit seinem Kameraauge aufnimmt, und darin die Objekte umrahmen, auf die er sich gerade konzentriert.

Die Schauspieler vom Gob Squad halten sich in dieser Sache zurück. Auf die Frage einer Journalistin, wozu man Roboter benötigte, fragte Simon Will bloß zurück: „Was würden Sie sagen? Ihre Antwort ist so gut wie meine.“

Ein Projekt an der Universität Stuttgart

Wer nicht sagen kann, welcher Physiker die Relativitätstheorie formuliert hat, dem würde man gemeinhin eine Bildungslücke attestieren. Für den Informatiker Marc Toussaint hält sich das Nichtwissen in diesem Fall jedoch in Grenzen: Es handelt sich gerade einmal um eine Wissenslücke von zehn Bit, denn so wenige Daten würden genügen, um Albert Einstein anhand einer Nummer in einer Liste bedeutender Physiker zu identifizieren. Wissenschaftler, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen, sehen die Welt mit anderen Augen: Für sie zeigt jemand, der Albert Einstein nicht kennt, nicht etwa ein überraschendes Desinteresse an wissenschaftlichen Themen, sondern bloß das Nichtwissen eines Namens. Diese Lücke lässt sich leicht schließen, indem man den Namen nennt.

Viel schwieriger ist es hingegen, einer Maschine zu erklären, wie man Klötze stapelt. Ein Klotz bleibt zum Beispiel nur auf dem anderen, wenn sein Schwerpunkt nicht über den Rand des unteren Klotzes hinausragt. Aber die Maschinen, mit denen sich Marc Toussaint beschäftigt, wissen nichts über physikalische Zusammenhänge und müssen das erst lernen wie ein kleines Kind. In der Vortragsreihe „Fragen an die Wissenschaft“ der VHS Stuttgart hat Toussaint kürzlich erklärt, was ihn an solchen nichtwissenden Robotern interessiert.

Scherben machen Maschinen schlau

Toussaint ist seit gut einem Jahr Professor an der Universität Stuttgart und hat sich dort ein Labor eingerichtet: eine Art Wohnzimmer für seinen etwa mannshohen Roboter. Im Labor gibt es keine Kabel, keine Flüssigkeiten und auch sonst nichts, was sich leicht verformt. Dafür kann der Roboter Stühle, Tische, Schränke und Regale erkunden. Vielleicht kommt er darauf, dass man am Knauf einer Schublade ziehen kann, um den Inhalt der Schublade zu inspizieren. Aus Toussaints Sicht geht es darum, die mathematische Theorie des Nichtwissens in einem realen Umfeld anzuwenden: Der Roboter soll sein Nichtwissen über die Welt reduzieren und muss dabei immer abschätzen, durch welche Handlung er am meisten lernen würde.

Was nach Spielerei klingt, wird vielerorts schon angewendet. Zwei Doktoranden Toussaints sind zum Onlinehändler Zalando gegangen. Dort lernen die Computer die Vorlieben der Kunden einzuschätzen und bei Bedarf auch deren Kreditwürdigkeit. In der Gesichtserkennung und beim Filtern von Spam-Mails werden die Prinzipien des maschinellen Lernens ebenfalls eingesetzt. Toussaint verlässt mit seinem Roboter bloß die virtuelle Welt. Ob etwas kaputtgehen könne, fragt ein Zuhörer. Toussaint nimmt ein Glas in die Hand und sagt: „Ich wäre enttäuscht, wenn der Roboter das Glas nicht fallen lassen würde. Aus informationstheoretischer Sicht kann man sehr viel daraus lernen.“