In vielen Städten wie etwa in Nürnberg verkehren bereits U-Bahnen ohne Fahrer. Auch Züge ließen sich automatisch steuern. Allerdings müsste man dazu das Schienennetz umrüsten. Das dürfte so teuer werden, dass Lokführer weiterhin wirtschaftlich sind.

Stuttgart - Der Streik im Bahnverkehr kostet derzeit viele Menschen Nerven, so dass sich manch zynischer Zeitgenosse fragt, ob es nicht auch ohne Lokführer ginge. Das ist gar nicht so abwegig – unabhängig davon, ob man den Streik für berechtigt hält oder nicht. Denn auch wenn die Tätigkeit eines Lokführers in Kindergärten als Traumberuf gehandelt wird, ist die Realität ernüchternd. Im Schnitt überfährt jeder Lokführer im Laufe seines Berufslebens zwei bis drei Menschen, ohne etwas dagegen tun zu können. Dazu kommt die häufig ermüdende Aufgabe, ein System zu überwachen, das viele Situationen automatisiert meistert. Die meiste Zeit sind Lokführer damit beschäftigt zu beweisen, dass sie nicht eingeschlafen sind: Sie müssen eine Sicherheitsfahrschaltung betätigen, die ihrerseits überwacht, dass der Fahrer bei der Sache ist.

 

„Ein Lokführer hat kaum einen Entscheidungsspielraum“, sagt Thomas Strang vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen. „Er macht eigentlich nichts anderes, als von einem grünen zum nächsten roten Signal zu fahren.“ Strang hat mit Kollegen ein Assistenzsystem entwickelt, bei dem sich Züge via Funk über ihre Fahrstrecke und Länge austauschen. Droht eine Kollision, warnt das System den Lokführer. Es könnte sogar eine Notbremsung auslösen.

Da scheint der Schritt zur vollständigen Automatisierung nicht weit. Schließlich fahren Autos schon heute autonom auf der Autobahn, wenn auch im Probebetrieb. Die Bewegung auf der Schiene ist berechenbarer als die auf der Straße: Es gibt nur vorgegebene Wege – und einen Fahrplan. Anders als Autos kann ein Zug „wissen“, wo er auf andere trifft, welches Gleis frei ist und ob die Weiche richtig steht. Das alles spricht dafür, dass selbstfahrende Züge technisch keine allzu große Herausforderung sein sollten. Das bestätigt auch Strang: „Dass wir den Lokführer so noch brauchen, ist nicht technologisch begründet.“

Neue Technologien müssen erst einmal zugelassen werden

Als Hemmnis für Innovationen im Bahnbetrieb bezeichnet Strang die Zulassungsverfahren, die im Unterschied zur Luftfahrt und zum Straßenverkehr „sehr viel zerklüfteter“ seien: So könne es sein, dass ein neuer Zug zwar in München zugelassen ist, in Stuttgart aber auf einer ähnlichen Strecke nicht fahren dürfe. „Je tiefer Technologie in den Prozess eindringt, umso größer ist der bürokratische Aufwand.“ Strang führt das auch auf ein großes Traditionsbewusstsein im Eisenbahnverkehr zurück, das eine „hohe emotionale Komponente“ mit sich bringe.

Andererseits gibt es Beispiele dafür, wie gut fahrerloses Fahren auf der Schiene bereits funktioniert. Seit sechs Jahren verkehren in Nürnberg die U-Bahn-Linien 2 und 3 fahrerlos. Die Züge sind nach Angaben der Stadt Nürnberg fast zu 100 Prozent pünktlich, verbrauchen dank optimierter Fahrweise weniger Energie und sind flexibler einsetzbar. Fahrerlose Züge können in kürzerem Takt fahren, weil zwischen den Zügen weniger Sicherheitsabstand benötigt wird, als wenn menschliche Reaktionssekunden eingeplant werden müssen.

Nürnberg ist nur eines von vielen Beispielen: Allein in 16 europäischen Städten von Kopenhagen bis Turin fahren U-Bahnen oder Flughafen-Bahnen komplett automatisiert. Auch in London wird die U-Bahn in den nächsten Jahren umgestellt – aus der Not heraus, um einen Verkehrskollaps in der bis 2030 zehn Millionen Einwohner zählenden Metropole abzuwenden. Denn zunehmende Pünktlichkeit und eine höhere Taktung sollen mehr Menschen überzeugen, vom Auto auf die Bahn umzusteigen. Das wäre auch ein gutes Argument für die Deutsche Bahn.

Die heutigen Lokomotiven halten noch 40 Jahre

Das würde allerdings erst einmal hohe Investitionen bedeuten. Die Umstellung der Nürnberger U-Bahn hat mehr als 600 Millionen Euro gekostet. Aber in zehn bis zwölf Jahren amortisieren sich die Kosten nach Berechnungen der Verantwortlichen. Berliner Forscher hatten ein ähnliches System bereits 2003 für die dortige U-Bahn-Linie U5 ausgetüftelt. „Das hätte man sauber automatisieren können“, sagt Jürgen Siegmann, Professor für das Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb an der Technischen Universität Berlin – und ergänzt enttäuscht: „Das wäre ein Vorzeigeprojekt gewesen.“ Aber der Senat stoppte das Projekt aus Kostengründen.

Siegmann hat autonom fahrende U-Bahnen weltweit untersucht, unter anderem in Kopenhagen und Seoul, und ist überzeugt: „Die grundsätzlichen Untersuchungen sind übertragbar.“ Jetzt sei die Politik am Zug. Das Hauptproblem beim Fernverkehr sieht er in der Offenheit der Strecken. Aus seiner Sicht ist die Technik nicht weit genug, um bei Hindernissen auf den Gleisen zu entscheiden, welche Hindernisse überfahren werden können und welche nicht: „Wir können das menschliche Auge nicht weglassen.“ Auch wenn Lokführer heutzutage viele der Schnellfahrstrecken im automatischen Modus befahren, müssten sie die Gleise stets im Blick haben und entscheiden, wie sie auf Hindernisse reagieren. Sein Kollege vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt stimmt zu: „Hier brauchen wir die höhere menschliche Intelligenz“, sagt Thomas Strang. Denn angesichts der hohen Geschwindigkeit sind Vollbremsungen – im Fachjargon Schnellbremsungen – für die Fahrgäste gefährlich. „Bei Tempo 230 sitzen sie danach nicht mehr auf ihren Sitzen.“ Deshalb lösen Lokführer angesichts einer Kuh oder eines Rehes auf dem Gleis meist keine Vollbremsung aus.

Wenn die Technik die Entscheidung übernimmt, spart sie zwar die menschliche Reaktionszeit, was als Argument für eine höhere Sicherheit gilt. Jede falsche Vollbremsung hingegen gefährdet Fahrgäste und vermindert zudem die Effizienz des Zugverkehrs. Noch, vermuten die beiden Experten, geht diese Rechnung zugunsten des Menschen im Führerstand auf. Wenn hingegen nicht nur jeder einzelne Zug intelligent entscheidet, sondern das gesamte System miteinander vernetzt ist, wenn also Kameras, Gleise, Signale und Züge miteinander kommunizieren, wäre die Gefahr wohl geringer: Hindernisse müssten nur ein Mal erkannt und die Information an alle weitergeleitet werden. Zumal intelligente Algorithmen und die modernsten Verfahren der Bilderkennung schon in der Lage sind, Menschen und Kühe voneinander zu unterscheiden.

Für diese Vision müsste die gesamte Infrastruktur umgerüstet werden. Ein teures Unterfangen, befürchtet Siegmann, das sich erst in fernerer Zukunft und eher für neue Strecken durchsetzen werde. „Die heutigen Lokomotiven halten noch 40 Jahre. Und was machen wir mit dem Personal?“ Da lohne es sich, das alte System noch eine Zeitlang zu betreiben. Oder, wie Thomas Strang sagt: „Der Lokführer ist an dieser Stelle noch wirtschaftlicher.“