Daimler testet das autonome Fahren unter Praxisbedingungen. Als Teststrecke dient die geschichtsträchtige Landsstraße zwischen Mannheim und Pforzheim.

Stuttgart - Im August 1888 zog Bertha Benz eines Morgens gemeinsam mit ihren beiden Söhnen den dreirädrigen Motorwagen aus der Mannheimer Werkstatt und machte sich auf zu einer Fahrt nach Pforzheim. Ihrem Gatten Carl hatte sie die geplante rund 100 Kilometer lange Spritztour verheimlicht. Der Ausflug ging in die Geschichte ein. Es war die erste Fernfahrt mit einem Automobil.

 

Vor einigen Wochen folgte, 125 Jahre nach der Testfahrt von Bertha Benz, eine S-Klasse von Mercedes-Benz der historischen Route. Autofahrer und Passanten nahmen kaum Notiz von dem schweren Wagen. Doch ein scharfer Blick in den Innenraum hätte gezeigt, dass der Fahrer die Hände nicht am Lenkrad, sondern auf seinem Schoß hatte und die Füße neben den Pedalen. Bei der S-Klasse handelte es sich um ein Forschungsfahrzeug, ausgerüstet mit Stereokameras, Radar und reichlich Rechnerleistung. Der Autobauer wollte damit beweisen, dass autonomes Fahren mit Hilfe eines elektronischen Chauffeurs auch im Überland- und Stadtverkehr möglich ist, wie Daimler jetzt kurz vor dem Start der Frankfurter Automesse IAA bekanntgab.

Die Stuttgarter beanspruchen mit dieser Leistung, Pionier im technologischen Wettlauf auf diesem Gebiet zu sein. „Sicher wäre es deutlich einfacher gewesen, für die autonome Fahrt von Mannheim nach Pforzheim die Autobahn zu nehmen. Aber für uns war es eine besondere Motivation, die autonome Fahrt genau auf dieser Strecke und 125 Jahre nach Bertha Benz zu absolvieren“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche. „Wir wären nicht Mercedes-Benz, wenn wir uns nicht anspruchsvolle Ziele setzen und sie dann auch erfüllen würden.“

Schritt für Schritt in eine neue Realität

Allerdings lief auch bei dieser Fahrt – wie einst bei Bertha Benz – beileibe nicht alles reibungslos. Bisweilen war das rollende Rechenzentrum überfordert und signalisierte: Lieber Fahrer, übernehme bitte! So etwa, wenn ein Fahrzeug in zweiter Reihe parkte oder die Müllabfuhr gerade unterwegs war. Auch die Zuordnung von Ampeln zu Fahrspuren war ab und an schwierig.

Ralf Herrtwich, bei Daimler Leiter des Bereichs Fahrerassistenz und Fahrwerksysteme, lässt sich von solchen Aussetzern des Roboterautos keineswegs entmutigen. „Wenn das geordnet stattfindet und ganz normal vom System erkannt wird, ist es unproblematisch“, urteilt der Initiator des Bertha-Benz-Projekts. Nunmehr werde das System weiterentwickelt und verfeinert. „Wir haben wertvolle Erfahrungen gesammelt, worauf wir achten müssen, wenn wir eines schönen Tages solche Funktionen für die Serie entwickeln“, sagt Herrtwich. Bei den Testfahrten, für die Daimler eine Ausnahmegenehmigung der zuständigen Behörden benötigte, seien eine ganze Reihe von Experimenten gemacht worden, die Aufschlüsse darüber liefern, welche Technologien dafür geeignet sind, was schwierig ist und wo investiert werden müsste.

Besonders stolz ist der Daimler-Forscher darauf, dass die Fahrt mit Radargeräten und Kameras gelungen ist, wie sie heute schon in ähnlicher Form in die Fahrzeuge der S- und E-Klasse von Mercedes-Benz eingebaut werden. „Wir haben nicht teure Militärtechnik wie Laserscanner genommen, was in der Branche gang und gäbe ist“, sagt Herrtwich.

Noch ist das autonome Fahren Zukunftsmusik. Zuvor müssen nicht nur zahlreiche rechtliche Hindernisse, sondern auch noch viele technische Hürden genommen werden. „Das autonome Fahren kommt nicht von heute auf morgen, sondern wird Schritt für Schritt Realität“, sagt Daimler-Vorstand Thomas Weber.

Gibt es bald ein Google-Mercedes-Auto?

Doch auch die anderen Autobauer sowie die Zulieferer wollen die Vision vom elektronischen Chauffeur Realität werden lassen und haben wie Daimler als Vorstufen unter anderem elektronische Assistenten zum Spurhalten, Abstandhalten oder Einparken entwickelt. Zur Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt ist in diesem Jahr ein ganzer Strauß von Innovationen angekündigt worden: Bosch präsentiert beispielsweise einen neuen leistungsfähigeren Radarsensor, der US-Zulieferer Delphi zeigt ein System, das Radar- und Kamerasensorik sowie eine gemeinsame Datenverarbeitung in einem einzigen Modul vereint, Conti kündigt als „Messe-Highlight“ die „Machbarkeit automatisierten Fahrens bis 2025“ an.

Nicht nur die etablierten Spieler sind auf diesem Feld unterwegs. Auch der Internetriese Google testet bereits seit Längerem Roboterautos. Dabei handelt es sich um umgebaute Toyota, die einen Laserscanner auf dem Dach haben, und geschätzte 150 000 Dollar (rund 114 000 Euro) kosten sollen. Kürzlich machte ein Bericht Schlagzeilen, wonach Google einen Verbündeten für die Produktion dieser Wagen in eigener Regie suche. Als mögliche Partner wurden Conti und der österreichische Auftragsfertiger Magna genannt. Beide äußern sich nicht dazu.

Auch Daimler arbeitet bereits mit Google zusammen. Dabei geht es allerdings um Straßenkarten und Telematikdienste. Den automatisierten Wagen der Amerikaner gibt Daimler-Chef Zetsche keine großen Zukunftschancen. „Wenn Sie ein Google-Auto sehen, sieht das in etwa aus wie eine Mondlandefähre. Und dann haben Sie oben auf dem Dach diese Teleskop-Geschichte, und die kostet in etwa so viel wie das Auto“, spottete Zetsche im Mai auf dem Berliner Netzkonferenz Re:Publica.

Der Vergleich mit der Mondlandefähre gilt nicht nur in optischer Hinsicht. Denn bei dem Internetriesen entwickelt das Forschungs- und Entwicklungslabor Google X die Roboterautos. Google-Chef Larry Page nennt die Projekte dieser Forschertruppe auch „moonshots“ (Mondflüge). Sie sind hochriskant, können floppen, vielleicht aber auch abheben wie eine Umsatzrakete.