Daimler will das autonome Fahren voranbringen und zudem auf 17 Autobahnabschnitten in Baden-Württemberg die Lkw-Gigaliner mit 25 Metern Länge fahren lassen. Landeswirtschaftsminister Schmid zeigt sich aufgeschlossen, die Grünen sind wenig begeistert.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Autobahn 81 vom Schönbuch in Richtung Bodensee könnte zur ersten Teststrecke im Südwesten für fahrerlose Pkws und Lkws mit Autopilot werden. Von der Topografie her sei diese Strecke gut für solche Versuche geeignet, erklärte Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) nach einem Treffen mit führenden Vertretern der Nutzfahrzeugindustrie des Landes in Stuttgart. Schmid kündigte zudem an, dass über Teststrecken für die umstrittenen Lang-Lkws mit 25 Metern, die im Südwesten bislang nicht fahren dürfen, neu diskutiert werden soll. Der Stuttgarter Autokonzern Daimler begrüßte den Dialog des Ministers mit der Branche. Für eine starke Zukunft der Nutzfahrzeugbranche im Südwesten seien Industrie und Politik gefordert, betonte Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard. Bis 2020 investiere der Konzern als weltweit führender Nutzfahrzeughersteller 2,8 Milliarden Euro in die Modernisierung seiner deutschen Werke, davon fast die Hälfte in Gaggenau in Mannheim. Um weiterhin einen starken Standort zu sichern, gebe es aber „Handlungsbedarf seitens der Landesregierung“, so Bernhard.

 

Bei Wirtschaftsminister Schmid trifft die Industrie offenkundig auf offene Ohren. Man müsse neue Möglichkeiten für die Branche schaffen, erklärte Schmid nach dem Treffen, an dem unter anderem auch Vertreter von Bosch, ZF Friedrichshafen und Mahle teilnahmen. Dabei ging es laut den Angaben um wegweisende Themen wie nachhaltige Mobilität, alternative Antriebe sowie vernetztes und automatisiertes Fahren. Besonders bei den Teststrecken für innovative Fahrzeuge macht die Industrie seit Monaten Druck, allen voran Daimler. Der Konzern hat 2014 den „Future Truck 2025“ vorgestellt, der auf Autobahnen mit bis zu Tempo 80 autonom fahren kann. Das soll die Straßen sicherer machen, Transporte verbilligen und den Schadstoffausstoß senken, versprechen die Befürworter. Baden-Württemberg müsse den Anspruch haben, dass der „Future Truck“ hier erstmals in Europa im Alltagsverkehr fahre, sagte Bernhard. Das würde die Innovationskraft des Landes belegen.

Allerdings treibt auch Bayern die Ausweisung einer ersten Teststrecke voran, unterstützt von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt.  Der CSU-Politiker hat dabei die A 9 in seinem Heimatland im Auge. Dem Vernehmen nach hat sich der Minister auch schon mit der dortigen Landesregierung seines Parteifreundes Horst Seehofer darüber abgestimmt. Über die Zulassung fahrerloser Autos auf Autobahnen muss federführend der Bund entscheiden und dafür auch die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen. Anders als das grün-rot regierte Baden-Württemberg hat das CSU-regierte Bayern auch schon vor Jahren umfangreiche Autobahnabschnitte für den heftig umstrittenen Feldversuch mit 110 Lang-Lkws frei gegeben, der noch bis nächstes Jahr läuft. Bis jetzt nimmt an dem fünfjährigen Test der Riesenlaster nur rund die Hälfte der Bundesländer teil.

Antrag für Gigaliner-Tests liegt bei der Landesregierung

SPD, Grüne und Linke lehnen die Fahrzeuge ab und befürchten unter anderem, dass dadurch noch mehr Güterverkehr auf die Straße verlagert wird und die Bahn als umweltfreundliche Alternative weiter an Boden verliert. Viele Bundesbürger sehen das ähnlich: Drei Viertel sind  laut Umfragen gegen die „Monstertrucks“. Bundesverkehrsminister Dobrindt verweist dagegen auf Zwischenergebnisse des Feldversuchs und hat sich wie sein Vorgänger Peter Ramsauer (CSU) inzwischen eindeutig für die Riesenlaster ausgesprochen. Er befürworte, dass die Fahrzeuge nach dem Ende des Feldversuchs auf deutschen Straßen zugelassen werden, erklärte der CSU-Mann unlängst. Besonders bei Verkehrspolitikern des Koalitionspartners SPD in Berlin stieß Dobrindts Erklärung auf Widerspruch.

In der Industrie dagegen wurde das Bekenntnis Dobrindts zu den Lang-Lkws mit Genugtuung aufgenommen, nicht zuletzt im Südwesten. Besonders bei Daimler ist der Unmut groß, dass der Koalitionsvertrag der grün-roten Landesregierung vorsieht, dass Baden-Württemberg wie andere von SPD und Grünen regierte Länder die Riesenlaster ablehnt und keine Teststrecken zulässt. Der Konzern will das nicht mehr akzeptieren und hat bei Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) schriftlich beantragt, dass künftig auf 17 Autobahnabschnitten im Südwesten die Lang-Lkws zwischen Werken fahren dürfen. Zudem erhielten auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Wirtschaftsminister Schmid nach Informationen der Stuttgarter Zeitung Schreiben des Daimler-Vorstands zum Streitthema. Kretschmann signalisierte inzwischen, dass man die Sache nochmals prüfen wolle. Laut Vorstand Bernhard würden sich pro Jahr durch den Einsatz der Riesenlaster allein auf diesen Strecken 3,2 Millionen gefahrene Kilometer und 2700 Tonnen Kohlendioxid einsparen lassen. Man erwarte nun „eine zügige Genehmigung“ durch die Landesregierung, betonte Bernhard. Ein Sprecher von Verkehrsminister Hermann erklärte jedoch auf Anfrage, die Landesregierung sei für einen solche Genehmigung nicht zuständig. Vielmehr müsse der Bund über die Aufnahme der Autobahnabschnitte in den Feldversuch entscheiden. Im Ministerium ist man dem Vernehmen nach über den Vorstoß von Daimler wenig begeistert, will aber keinen offenen Streit mit dem Konzern und dem Koalitionspartner.