Führen Roboter-Autos noch mehr in den Stau? Die Schweiz als ein Land ohne Autoindustrie sucht beim Thema autonomes Fahren einen anderen Weg.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Es sind nur zwei Kilometer, auf denen der weiße Shuttle zwischen einem jungen Wohnquartier in einem ehemaligen Stahlwerk in Schaffhausen und dem Bahnhof pendelt. Und in den wenigen Tagen, in denen hier ein fahrerloser Elektro-Van bis zu acht Passagiere einsammelt, hat man schon eines gelernt: Auch das Schweizer Naturschutzgesetz kann dem autonomen Fahren im Weg sein. Denn das verbietet, das hohe Gras zu mähen.

 

„Das macht am Straßenrand dem Radar Probleme“, sagt Thomas Haiz, Vorstand des Betreibers Swiss Transit Lab. Auch bei der Fahrt in den Kreisverkehr am Bahnhof reagiert das Fahrzeug noch sehr defensiv und kommt im Berufsverkehr manchmal zu zaudernd vorwärts. Und manchmal vor lauter einprogrammierter Vorsicht gar nicht.

Dennoch ist das, was da unweit der deutschen Grenze passiert, ein Pionierprojekt, welches das autonome Fahren der Zukunft abseits vom Auto für den öffentlichen Nahverkehr erschließen will. Tests mit autonomen Shuttles gibt es auch in Baden-Württemberg, etwa für den Mitarbeiterverkehr bei Lidl in Neckarsulm und von ZF in Friedrichshafen und Mannheim. In Waiblingen ist gerade ein mehrmonatiges Projekt abgeschlossen worden.

Teil des normalen Stadtverkehrs

Der Zubringer-Van ist Teil des ganz normalen Stadtverkehrs und kann von jedermann gratis benutzt werden. Und noch etwas: Die Schweizer betreiben das Projekt ganz in ihrem Geist des „service public“ als öffentliche Dienstleistung jenseits von Gewinninteressen. Und mangels Autoindustrie im eigenen Land ist das Spielfeld hier weit offen.

Das in Schaffhausen Swiss Transit Lab, das den Testlauf organisiert, ist weltweit ziemlich einmalig: 2019 wurde es als eine nicht gewinnorientierte Organisation von privaten Unternehmen, den Verkehrsbetrieben der Stadt sowie vom Kanton Schaffhausen gegründet um öffentlichen und individuellen Verkehr besser miteinander zu verknüpfen.

Nicht der Autoindustrie das Feld überlassen

Wer beim Thema autonomes Fahren allein der Autoindustrie das Feld überlasst, der könnte mit einem Verkehrssystem enden, das mehr Probleme schafft als es löst. Der baden-württembergische Verkehrsminister Hermann, der auf einer Reise durch die Schweiz das Projekt besichtigte, brachte es so auf den Punkt: „Wenn sie ein System haben, wo ein autonomes Auto das Kind zum Kindergarten fährt und dann wieder nach Hause fährt, dann ist nichts gewonnen.“

Das Land Baden-Württemberg sieht sich deshalb zusammen mit Bundesländern wie Hamburg, Hessen oder Nordrhein-Westfalen als ein Vorreiter in Deutschland bei der Entwicklung solcher Systeme. Neben den genannten Shuttle-Projekten gibt es auch ein vom Karlsruher Verkehrsverbund betriebenes Testfeld in Karlsruhe.

In der Schweiz Fokus auf öffentlichen Verkehr

In der Schweiz, so sieht man in Schaffhausen, ergibt sich ein solcher Schwerpunkt ganz selbstverständlich. Für Konzerne, ob Autohersteller oder Fahrtenanbieter wie Uber und Lyft, sind komfortable Flotten von autonomen Fahrzeuge ein lukratives Geschäftsmodell – die Anpassung an den öffentlichen Verkehr kann warten. Zudem hat ein autonomer Passagierbetrieb ganz eigene Herausforderungen: Was passiert beim Ein- und Aussteigen? Wer achtet auf die Fahrgäste?

Bisher ist es nur in einigen U-Bahn-Systemen gelungen, auf den Fahrer zu verzichten. Mit den millionenschweren Forschungsetats der Autobranche kann man hier nicht mithalten – aber dafür stellt man sich hier Fragen, wie irgendwann in der Zukunft solche Fahrzeuge in das Nahverkehrssystem eingebettet werden können. Wie ist die Nachfrage? Wie sehen die Fahrgäste das Angebot? Es geht darum Daten zu sammeln – auch im Hinblick auf die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.

Das Interesse der angefragten deutschen Autoindustrie an dem Projekt war mäßig. Am Ende fand man einen Partner in Toyota, dessen Fahrzeug dann von einem auf solche autonomen Shuttles spezialisierten, finnischen Start-up namens Sensible 4 umgebaut wurde.

Auch ein Start-up ist am Thema dran

Die Entwickler des Swiss Transit Lab sind in Schaffhausen nicht die einzigen Firma, die sich mit der autonomen Zukunft des öffentlichen Verkehrs beschäftigt. Dass man in der Schweiz auch wirtschaftliche Chancen in diesem Bereich des autonomen Fahrens sieht, zeit das Schaffhauser Start-up Trapeze. Das Unternehmen ist eigentlich ein IT-Spezialist, der Systeme zur Überwachung und Disposition von öffentlichen Verkehrsunternehmen entwickelt. Auch hier hat man in Bern bereits bereits einen Testlauf mit autonomen Shuttlebussen im normalen Fahrgastbetrieb begleitet.

„Wir müssen aufpassen, dass uns das autonome Fahren nicht in eine Richtung drängt, die wir nicht wollen“, sagt Trapeze-Chef Thosten Schmidt. Mit solchen Fahrzeugen werde das Auto noch einmal ganz neue Nutzergruppen wie Jugendliche oder ältere Menschen erschließen – damit die Mobilitätsbedürfnisse noch einmal multiplizieren.

Zubringer für Wohngebiete

Und eigentlich gäbe es im Verkehrssystem dafür geeignete Nische: Die Schnittstelle zwischen dem Linien und Bedarfsverkehr, wie etwa die Erschließung von Wohngebieten mit Verbindungen zur nächsten größeren Bahnhaltestelle. Doch so wie diese Straßen in den Wohngebieten heute gestaltet seien, sagt Trapeze-Innovationschef Dominique Müller, seien für die heutige Technik die Hürden noch unüberwindbar. Zu viele Engstellen, zu wenige Möglichkeiten zum Anhalten.

Mindestens zehn bis 15 Jahre werde es noch brauche, bis solche Technologien anwendungsreif seien. „Erst muss die Autoindustrie technologisch voran gehen. Da ist der Massenmarkt“, sagt Müller.

Hilfe gegen den Busfahrermangel

Aber im Nahverkehr ist auch ein Zwischenschritt möglich, der sich für Autos nicht so gut eignet: Hier kann theoretisch ein Disponent in einer Zentrale einige Fahrzeuge auf einmal überwachen. Und selbst, wenn eine Begleitperson notwendig sein sollte: Sie kann schnell angelernt werden und muss kein qualifzierter Fahrer oder eine Fahrerin sein. Das könnte womöglich den absehbaren Mangel an qualifizierten Fachkräften in diesem Bereich dämpfen.

Entscheidend ist es, so sehen es die Schweizer, dass bei der Entwicklung des autonomen Fahrens schon frühzeitig der öffentliche Verkehr mitgedacht wird. „Die Autoindustrie hat beim autonomen Fahren das Interesse möglichst viele Autos zu verkaufen – aber wir wollen einen besseren Nahverkehr. Das ist etwas ganz anderes“, sagte Verkehrsminister Winfried Hermann bei seinem Besuch über das Vorbild Schweiz.

Shuttles in Baden-Württemberg

Waiblingen
Fünf Monate lang war in Waiblingen ein autonom fahrender, elektrisch betriebener Mini-Bus zwischen dem Waiblinger Bahnhof und dem Berufsbildungswerk Waiblingen (BBW) unterwegs. Das vom baden-württembergischen Verkehrsministerium geförderte Projekt wurde von der Hochschule Esslingen koordiniert und hat auf seiner zwölfminütigen Fahrt wie in Schaffhausen auch Passagiere mitgenommen.

Neckarsulm
Seit Mitte 2022 ist zwischen dem Bahnhof von Bad Wimpfen und der Hauptverwaltung des Discounters Lidl ein autonomes, elektrisch betriebenes Shuttle für die Mitarbeiter der Firma unterwegs. Betrieben wird es als gemeinsames Forschungsprojekt mit der Hochschule Heilbronn sowie dem Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe.

Friedrichshafen
Mit Fahrzeugen des Autozulieferers ZF sollen in Friedrichshafen und Mannheim auf jeweils einer festen Route ein Nahverkehrsbetrieb autonome E-Busse unterwegs sein. Die Busse sollen auch die ländlichen Regionen anbinden und ab 2024 unterwegs sein.