Der Markgröninger Autor Martin von Arndt greift historischen Konfliktstoff auf und macht daraus Thriller. Mit seinem neuen Roman „Rattenlinien“ ist ihm bereits zum zweiten Mal Unterhaltungsliteratur im besten Sinne gelungen.

Markgröningen - Kündigt die Türkei den Flüchtlingspakt auf? Im politischen Berlin sieht man sich genötigt, die anatolischen Verbündeten mit Samthandschuhen anzufassen. Neu ist das nicht: Bereits in den 20er Jahren schaute die damalige Weimarer Republik, das Auswärtige Amt insbesondere, lieber weg, als bekannt wurde, dass im Osmanischen Reich ein Genozid an den Armeniern geplant und ausgeführt wurde. Es sind solche historischen, aber zeitlosen Spannungen, aus denen Martin von Arndt seinen Stoff für spannende Literatur gewinnt. Mit „Tage der Nemesis“ ist ihm das meisterhaft gelungen. Aus dem Armenien-Thema wurde ein temporeicher, aber nie oberflächlicher Politthriller. Oder besser: ein Thriller mit politisch-historischen Hintergründen.

 

Nun hat von Arndt, der in Markgröningen lebt, getan, was er noch nie getan hat: nämlich die Fortsetzung zu einem Roman, eben „Tage der Nemesis“, verfasst. „Ich bin eigentlich kein Reihen-Autor“, sagt von Arndt. In diesem Falle habe sich ihm die Idee aber schon beim Schreiben des Erstlings quasi aufgedrängt. „Rattenlinien“ heißt die Fortsetzung; der Verlag stuft sie auf dem Buchtitel als „Kriminalroman“ ein. Das ist dieses Werk aber nur vordergründig. Die Handlung knüpft an den „Nemesis“-Plot an, das Buch spielt aber 25 Jahre später. Dieses Mal hat der Autor in der unmittelbaren Nachkriegszeit 1946 seine historische Blaupause gefunden.

Es geht um die historisch lange Zeit vernachlässigte Frage, wie es Tausenden Mördern der Nazi-Todesmaschinerie nach der Kapitulation gelingen konnte, auf sogenannten Rattenlinien ins Ausland, meist Italien, zu gelangen, um sich dann nach Übersee abzusetzen. „Mich hat die Frage interessiert, wie es so vielen Verbrechern gelingen konnte, derart unproblematisch zu entkommen“, sagt von Arndt.

Ein Sachbuch fürs breite Publikum

Als Faktenbasis habe ihm das relativ neue Sachbuch „Nazis auf der Flucht“ von Gerald Steinacher gedient. „Ich wollte das Sachbuch für ein breites Publikum erschließen“, sagt der 48-Jährige. Historisch verbriefte Fälle solcher Fluchten habe er für den Roman kombiniert. Allerdings seien die meisten Fluchten unspektakulär ausgefallen – leider. „Es ist ihnen denkbar einfach gemacht worden.“ Warum das so war, lässt der Autor anklingen: In der Nachkriegszeit herrschte administratives Chaos, die Siegermächte rivalisierten, zudem verdingten sich die Einheimischen aus schierer Not als Alpen-Schlepper. Der politische Zwitter-Status von Südtirol mit „Reichsdeutschen“ und Italienern tat sein Übriges, um die Unübersichtlichkeit perfekt zu machen.

Als Motiv der Spannung dient von Arndt der menschliche Konflikt zwischen seinem „Nemesis“-Ermittler Andreas Eckart, inzwischen schon 60 Jahre alt, und dessen ehemaligem Assistenten Gerhard Wagner, der als SS-Obersturmbannführer für Massaker in Weißrussland verantwortlich war. Im Auftrag des US-Geheimdienstes CIC macht Eckart Jagd auf Wagner, versucht ihn in Südtirol zu stellen, bevor er buchstäblich über alle Berge ist.

Von Arndts Erzählstil ist schnörkellos und temporeich. Mit präzise gesetzten Schnitten wird der rote Faden immer wieder unterbrochen – etwa, um in einer zweiten Erzählebene das Schicksal von Eckarts ehemaligem zweitem, jüdischen Assistenten Rosenbaum zu erzählen. Das alles macht den Roman handwerklich zu einem Thriller. Dennoch bietet er weit mehr als bloße Unterhaltungsliteratur.

Die Charaktere haben deutlich mehr Tiefe als bei einem Dan-Brown-Bestseller, sind weit davon entfernt, als Abziehbildchen für Tempo und Spannung herhalten zu müssen. Das mag auch daran liegen, dass immer wieder Autobiografisches durchschimmert. So ist Eckart eher menschenscheu und kauzig, zudem ein passionierter Fan des Boxsports – eine Sportart, der auch von Arndt privat leidenschaftlich frönt.

Autobiografische Bezüge