„Total Recall“? Da war doch was! Obwohl der Stoff von Science-Fiction-Autor Philip K. Dick schon einmal erfolgreich verfilmt wurde – damals mit Arnold Schwarzenegger – kommt jetzt eine neue Adaption in die Kinos.

Stuttgart - Fantastische Geschichten um Gehirnwäsche, telepathische Kontakte und Risse im Kosmos fielen ihm dauernd ein. Philip K. Dick schrieb sie, so schnell er nur tippen konnte, und er war ein fixer Tipper. Seine Geschichten, die in den fünfziger und sechziger Jahren entstanden, sind voll kleiner Hinweise, dass die Welt nur eine Fassade ist. Immer wieder stoßen seine Figuren dank irgendeiner Unlogik, irgendeines Schluckaufs der Illusionsmaschine auf den beängstigenden Verdacht, dass ihre Umgebung ein einziger Betrug ist. Auch Dicks eigene Karriere wirkt wie solch eine lose Masche im Netz der Täuschungen: Ein Autor, der radikal an den Erwartungen des Marktes vorbeischreibt, zwingt diesem Markt durch schiere Schaffenswut seine Storys auf.

 

Auch der Nachruhm des 1982 im Alter von 53 Jahren verstorbenen Philip Kindred Dick wirkt wie ein Hey-da-stimmt-was-nicht-Moment aus einem Dick-Text. Der Autor, den die Intellektuellen wegen seiner abgründigen, politisch bissigen Geschichten zu ihrem Lieblingsfantasten erkoren, ist auch der meistverfilmte moderne SF-Autor geworden. 21 Einträge listet die Internet Movie Database auf – und am Donnerstag startet in unseren Kinos nun Len Wisemans „Total Recall“, nach Paul Verhoevens „Total Recall“ von 1990 die zweite Adaption der Kurzgeschichte „We can remember it for you wholesale“ über Probleme bei der Firma Rekal, die Menschen künstliche Erinnerungen implantiert. Ridley Scotts Klassiker „Blade Runner“ (1982) basiert auf einer Vorlage von Dick, ebenso Steven Spielbergs „Minority Report“ und Richard Linklaters „A Scanner Darkly“. Auch wer nur die Filme und nicht die Romane kennt, mag nach dieser Aufzählung eine Ahnung bekommen, was Dicks Prosa mit den Kinogängern von heute verbindet: Angst und Misstrauen.

Kreuzunglückliche Kindheit

Philip K. Dick hat, wie er immer wieder erzählte, eine kreuzunglückliche Kindheit gehabt. In jungen Jahren hat er erfahren, dass er die überlebende Hälfte eines Zwillingspärchens war. Sein Schwesterchen Jane ist gestorben, weil die Eltern und der inkompetente Hausarzt die akute Unterversorgung des Mädchens nicht erkannten. In dem Satz „Ich habe die ganze Milch bekommen“ hat Dick später die Situation und seine Schuldgefühle zugespitzt. Zur brutalen Erschütterung dieses Urvertrauens kamen häufige Umzüge, die Scheidung und das Sorgerechtshickhack seiner Eltern hinzu, möglicherweise auch eine Missbrauchserfahrung. Dick wuchs in Phobien, Ticks und Neurosen hinein, aber er war auch ein Manipulator, der seine Eigenheiten überspielen oder bewusst einsetzen konnte. Mal trat er als Charmeur auf, mal brach er unter seinen sozialen Ängsten selbst in kleiner Gesellschaft zusammen.

Im späteren Leben machte er Erfahrungen, die er selbst abwechselnd als Nervenzusammenbrüche oder als Erleuchtungen darstellte. Je nach persönlicher Neigung schildern ihn Freunde und Biografen als psychisch Schwerkranken, der seine Schübe in Literatur verwandelte, oder als Sensibelchen, das davon geplagt war, hinter Alltagsillusionen schauen zu können.

Seinen Fans erschien er als düsterer Prophet

Philip K. Dick erlebte vom liberalen Berkeley aus die McCarthy-Jahre, er verfolgte, wie die Bevölkerung in die Vietnam-Falle gelogen und die jugendliche Opposition niedergeknüppelt wurde, er war Zeitgenosse des Watergate-Skandals und registrierte den wachsenden Einfluss profes- sioneller Werbekampagnen nicht nur auf Kaufentscheidungen, sondern auf Weltbild und Werte der Bevölkerung. Seine Geschichten, deren Schauplatz immer wieder die von Propaganda, Geheimpolizei und Konzernen genasführten USA waren, erschienen den Fans als prophetisch. Dick hatte eher das Gefühl, er schriebe der Entwicklung hinterher.

Dicks Verfolgungswahn wurde nicht dadurch besser, dass er als vermeintlich Subversiver vom FBI überwacht wurde. Kritisches Bewusstsein, schwere Paranoia und seltsame Alltagserfahrungen fanden in seiner Fantasie zu provokanten Entwürfen zusammen. Er selbst sah sich in stolzen Momenten nicht als Romancier, sondern als Philosophen, der seine Gedanken in Geschichten ausdrückte.

In späten Romanen wie „Flow, my Tears, the Policeman said“ (1974) oder „Valis“ (1980) drückt sich Dicks Verdacht, in falschen Wahrnehmungen eingekerkert zu sein, im völligen Auseinanderbrechen der Lebenskulissen seiner Figuren aus. Lange vor dem Internet, vor sozialen Netzwerken und Desinformationskampagnen in der Cyberwelt hat Dick vom virtuellen Leben erzählt, vom Aufgehen des Seins im Schein. Aber diese literarisch komplexeren Romane stellen gegenüber den frühen Kurzgeschichten vielleicht die geringere Provokation dar. Die Storys springen den Leser mit beängstigenden Konzepten an, wo er nur ein rasches Lesespäßchen erwartet. Die „Total Recall“ zugrunde liegende Idee künstlicher Erinnerungen etwa führt zur Erkenntnis, dass nach solch einer Erfindung keiner mehr je wissen kann, wer er ist. Philip K. Dick zu lesen, das ist auch heute noch eine Mutprobe mit Suchtfaktor.