Kultur: Stefan Kister (kir)
Über De Ruit findet Stuttgart wieder Raum in dem Roman: Schreiben Sie über das, was Sie kennen, oder ist das auch ein Maskenspiel, ein Kleid, das Sie sich überstreifen?
Es ist weniger ein Kleid als meine Haut. Das ist die Stadt, in der ich verwurzelt bin. Ich halte Stuttgart für ziemlich geheimnisvoll, im Guten wie im Schlechten. Hier komme ich her, hier kommen meine Geschichten her. Auch wenn ich einmal an einem anderen Ort leben sollte, werde ich diese Herkunft immer mit mir herumtragen, angefangen bei meinem Dialekt bis hin zu den Sachen, die ich gerne esse und koche.
An De Ruit knüpft sich aber der dunkelste Faden Ihrer Geschichte. Seine Eltern sind in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Sie zeigen sie jedoch nicht als Nazikarikaturen, sondern als heitere Menschen, die glauben, eine große Zeit zu erleben.
Es gab sicher sadistische Nazis. Aber das Schreckliche ist doch, dass die meisten wie wir waren: gute Bürger, die Musik und Literatur ebenso geliebt haben wie ihre Kinder und das Leben selbst. Gleichzeitig konnten sie einen Genozid mittragen und selbst begehen. Ich glaube, dass es nicht schwer ist, ein Volk zu so etwas zu bringen. Es müssen nur die richtigen Voraussetzungen gegeben sein: dass man in der Lage ist, mit Hilfe von Propaganda die Opfer zu entmenschlichen. Diese Nähe beschäftigt mich. Das macht es ja so fürchterlich.
Was für Texte haben Sie herangezogen?
Ich habe Autoren von Hitlers „Gottbegnadeten“-Liste gelesen. Das waren anstrengende Zeiten, weil das so unglaublich schlechte Schriftsteller waren. Es macht einen wütend, wenn man sieht, welche Künstler weggejagt und umgebracht wurden und was für ein Mist dageblieben ist und zu höchsten Ehren kam. Autoren wie Will Vesper – was für ein Horror! Jedes Mal wurde beim Lektorat in dem Vesper, den ich ja wörtlich zitiere, herumgeholzt, ich musste immer dazwischengehen: „Nein, das ist ein wörtliches Zitat, das muss so bleiben.“
Es kommen auch Bücher über Kindererziehung und Ratgeber vor.
Wenn man sich vorstellt, was wir heute alles an Ratgebern lesen und glauben, weil es en vogue ist, dann sieht man, wie verführbar die Leute sind, wenn alle etwas für gut halten und das dann auch noch mit wirtschaftlichem Erfolg verbunden ist.