Am 1. September beginnt das neue Ausbildungsjahr. Aber noch immer gibt es 822 offene Ausbildungsstellen im Landkreis Böblingen.

Böblingen - Ein bisschen ratlos ist Matthias Scherer schon. „Ich habe so einen schönen Beruf“, sagt der Renninger Metzgermeister. „Man sieht schnell das Ergebnis seiner Hände Arbeit.“ Morgens kommt er ins Geschäft, und fünf Stunden später ist die Wurst fertig. Diese Faszination würde Scherer gern auch an junge Leute weitergeben. Zum 1. September hat er eine Ausbildungsstelle als Fleischer und Metzger ausgeschrieben. Besetzt ist die Stelle aber bislang noch nicht.

 

Damit steht der Inhaber der Metzgerei in der Renninger Innenstadt nicht alleine da. Im September beginnt das neue Ausbildungsjahr, aber immer noch gibt es 822 offene Ausbildungsstellen im Kreis Böblingen, teilt die Agentur für Arbeit Stuttgart mit. 2473 Ausbildungsstellen gibt es im Kreis – damit ist ein Drittel unbesetzt.

Und die Tendenz geht nach oben. Denn im gleichen Zeitraum waren vor einem Jahr schon 155 Stellen mehr besetzt. Nach Gründen müssen die Verantwortlichen nicht lange suchen. „Die Leute wollen alle mit Schule und Studium weitermachen“, sagt Matthias Scherer. Damit betrifft der Nachwuchsmangel vor allem das Handwerk. „Trotz intensiver Werbung suchen unsere Handwerksbetriebe noch händeringend nach motivierten jungen Leuten“, bestätigt Bernd Stockburger, der Geschäftsführer Berufliche Bildung der Handwerkskammer Region Stuttgart. Auch er berichtet, dass die Zahl offener Azubi-Stellen nur wenige Wochen vor dem Ausbildungsstart hoch ist.

Das betrifft alle 130 Berufe im Handwerk – auch solche, die früher mal als begehrt galten. Der Friseursalon von Gunther Hanselmann in Leonberg würde auch noch einen Azubi einstellen, wenn sich einer findet. „Es melden sich durchaus Bewerber“, sagt Sabine Duttenhöffer, die im Salon für die Administration verantwortlich ist. „Wenn ich dann aber erzähle, was eine Ausbildung tatsächlich bedeutet, ist das den meisten zu anstrengend.“ Bei Hanselmann fördere man die jungen Leute – fordert aber auch. „Das scheint heutzutage abschreckend“, sagt Duttenhöffer.

Die Sparkasse bekommt nur noch halb so viele Bewerbungen

Die Banken und die Industrie haben da weniger Probleme, gleichwohl auch diese Branchen den Wandel spüren. Die Kreissparkasse Böblingen hatte in früheren Jahren 600 bis 700 Bewerbungen auf ihre 40 bis 50 Azubi-Stellen bekommen. Heute sind es nur noch 300 Bewerbungen.

20 bis 25 Auszubildende stellt der Leonberger Schließsysteme-Hersteller Geze jedes Jahr ein. Nur eine Stelle davon ist noch unbesetzt. Aber auch dort sagt die Pressesprecherin Gabi Bauer: „Die Herausforderung, geeignete Auszubildende zu finden, steigt.“ Zudem würden die Fähigkeiten, die die Bewerber von der Schule und vom Elternhaus mitbringen, immer unterschiedlicher.

Neue Wege sind da gefragt. Den Personalabteilungen der größeren Firmen, aber auch den kleinen Betrieben, ist schon lange klar, dass der Nachwuchs nicht von alleine vor der Tür steht. Dass man also werben muss. „Wir besuchen viele Ausbildungsmessen und beschäftigen eine große Zahl an Praktikanten“, sagt die Geze-Sprecherin Gabi Bauer. Man gehe aber auch neue Wege, zum Beispiel bildet das Leonberger Familienunternehmen derzeit einen Flüchtling aus, den es nach einer einjährigen Einstiegsqualifizierung in die Ausbildung übernommen hat.

Vor allem aber durch persönliche Kontakte kommt man an Nachwuchs. Seit 40 Jahren schon bildet Peter Tallafuss in seinem Weil der Städter Sanitär- und Heizungsbaubetrieb Lehrlinge aus. „Wir sind bekannt für eine gute Ausbildung, das spricht sich rum“, sagt er. Er sucht auch den Kontakt zu Schulen, die Schüler als Praktikanten schicken.

Tallafuss macht deutlich, dass der Azubi-Mangel kein Luxusproblem ist. „Wir suchen händeringend Fachkräfte“, sagt er. Arbeit gebe es genug, sein Betrieb könnte noch viel mehr expandieren. Und dennoch: „Viele sagen: Ich ärgere mich doch nicht mit einem Stift rum – und bilden dann nicht aus.“ Das wirkt sich dann auf den Arbeitsmarkt aus.

Unterstützend stehen auch die Kammern und die Arbeitsagentur zur Seite. „Unser Fokus liegt meist auf der IT und der Technik, außer bei den Boys’ Days, bei denen man versucht, die sozialen Berufe oder andere typische Frauenberufe an den Mann zu bringen“, sagt Carmen Gutierrez, die Pressesprecherin der Stuttgarter Arbeitsagentur, die auch den Kreis Böblingen betreut. Außerdem gibt es Maßnahmen gegen Ausbildungsabbruch, zum Beispiel eine sozialpädagogische Betreuung.

Die Handwerkskammer ist mit einer Roadshow in Flüchtlingsunterkünften unterwegs und berät Studienzweifler, um auf die verschiedenen Möglichkeiten im Handwerk aufmerksam zu machen. „Die Aussichten für eine Karriere im Handwerk sind wegen der guten Geschäftslage in allen Branchen derzeit außergewöhnlich gut“, verspricht Bernd Stockburger.

„Nachwuchs müssen wir selbst heranziehen“

Die Betriebe vor Ort versuchen da mitzuziehen. Und auch die Rahmenbedingungen ändern sich. Im dritten Lehrjahr bekommen Friseur-Azubis zum Beispiel mittlerweile 715 Euro pro Monat, die Vergütung ist damit im vergangenen Jahr um rund 30 Prozent angehoben worden. Sabine Duttenhöffer vom Leonberger Salon Hanselmann kennt freilich auch die Kehrseite. „Das wird viele Kollegen abschrecken, auszubilden“, sagt sie. „Der Kunde zahlt ja nicht mehr für den Haarschnitt, nur weil die Kosten steigen.“ Und dennoch sieht auch sie keine Alternative zur Ausbildung. „Wenn wir Nachwuchs brauchen, müssen wir ihn selbst heranziehen.“

Nur der Renninger Metzger Matthias Scherer wartet immer noch, und erinnert sich an frühere Zeiten. „Als die Flüchtlinge aus Jugoslawien kamen, konnten wir uns vor Bewerbern nicht retten.“ Speziell in seiner Branche sind da auch die derzeitigen Maßnahmen, Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren, keine Lösung. „Das sind zumeist Muslime – und die drängen nicht in den Metzgerberuf.“

Gerade im Lebensmittelhandwerk wird der Mangel immer größer. Im Kreis Böblingen haben Firmen jetzt noch 36 freie Plätze für künftige Experten rund ums Essen und Trinken. Entsprechend besorgt ist die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). „Vom Süßwarentechnologen bis zur Chemielaborantin – die Lebensmittelindustrie bietet hochtechnische Berufe bei überdurchschnittlicher Bezahlung“, wirbt Jürgen Reisig, der NGG-Gewerkschaftssekretär für die Region Stuttgart.