Azubimangel in Praxen im Kreis Esslingen Damit der Zahnarzt nicht alleine bohrt – Feel-Good-Managerin und Schicht-Modelle

Feel-Good-Managerin sorgt für ein gutes Gefühl: (im Uhrzeigersinn von oben) Viet Mai, Hoang Tran, Fiona Jaku, Zahnarzt Johannes Beiter, Feel-Good-Managerin Mirjam Kirschmann und Omar Bouziane. Foto: Roberto /Bulgrin

Keiner reicht dem Zahnarzt die Instrumente. Keiner macht einen Abdruck von den Zähnen. Keiner erledigt die Zahnreinigung – eine schlimme Vorstellung. Doch in den Praxen fehlen Azubis. Manche Zahnärzte im Kreis Esslingen behelfen sich mit besonderen Angeboten, andere haben resigniert.

Sie schenken ihren Patienten ein strahlendes Lächeln – und sie erlernen einen Beruf mit Biss und Eigenverantwortung. Dennoch tun sich viele Zahnarztpraxen bei der Azubi-Suche schwer. Zahnmedizinische Fachangestellte sind gefragt. Der Beruf ist es nicht. Im Kreis Esslingen kommen laut Agentur für Arbeit derzeit 45 Bewerber auf 142 freie Stellen.

 

Manche Praxen legen bei der Nachwuchsförderung einen Zahn zu. Mirjam Kirschmann etwa sorgt bei den Zahnärzten im Hundertwasserhaus in Plochingen für ein gutes Gefühl. Die Betriebswirtin hat sich durch Seminare zur Feel-Good-Managerin weitergebildet, eine positive Unternehmenskultur zu schaffen, ist ihr Job. Keine leichte Aufgabe, sagt sie, aber eine wichtige.

Ein Beruf mit Verantwortung: Trotzdem kehren in Baden-Württemberg 13 Prozent der zahnmedizinischen Fachangestellten nach der Ausbildung dem Beruf den Rücken. Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Denn ein gutes Betriebsklima sorge für zufriedene motivierte Mitarbeitende und sei hilfreich bei der Azubi-Akquise: Bewerbungen um Ausbildungsstellen würden in die Praxis flattern, im vergangenen Jahr seien fünf Lehrlinge eingestellt worden. Dafür gebe es Gründe: Azubis mit Förderbedarf lasse man nicht allein. Zusammen mit einer Nachhilfeagentur und der Agentur für Arbeit, so Mirjam Kirschmann, biete ihr Arbeitgeber ein Nachhilfeprogramm an. Die Lehrlinge würden in der Praxis sowie an einem Standort der Nachhilfeagentur in Nürtingen unterrichtet. Das Hilfsangebot umfasse fachliche Inhalte, aber auch klassische Fächer wie Deutsch und Mathematik.

Schichtmodell auch für Azubis in Plochinger Praxis

Die angehenden Fachangestellten würden auch das Zwei-Schicht-Modell mit der 35-Stunden-Woche in der Praxis zu schätzen wissen. Im wöchentlichen Turnus werde einmal von 7 bis 14 Uhr und dann von 14 bis 21 Uhr gearbeitet. Gut, das mit dem Arbeitsschluss um 21 Uhr sei anfangs oft noch gewöhnungsbedürftig. Doch schnell würden auch die jungen Mitarbeiter den Vorteil eines freien Vor- oder Nachmittags zu schätzen wissen, so die Erfahrung von Mirjam Kirschmann.

Mitarbeitende anderer Praxen nennen als erfolgreiche Mittel bei der Azubi-Suche die Teilnahme an Ausbildungsmessen, die Nutzung sozialer Medien, Hinweise auf Vorteile wie die Arbeit in einem kleinen Team oder auch die Mundpropaganda. Zufriedene Azubis könnten in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis die Werbetrommel rühren und so weitere Lehrlinge gewonnen werden.

Schlechte Erfahrungen bei der Azubi-Suche hat dagegen eine Praxis im Raum Nürtingen gemacht, die nicht namentlich genannt werden möchte. Aufgrund des ausländischen Namens des Zahnarztes würden sich nur junge Erwachsene bewerben, die bereits woanders nicht genommen worden seien. Das Gros der Bewerber werde bereits im Vorfeld aussortiert, weil die Anschreiben und der Lebenslauf voller Rechtschreib- und Grammatikfehler steckten: „Sie würden in der Berufsschule niemals klar kommen.“ Manche würden erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch erscheinen, andere unentschuldigt vereinbarten Terminen fernbleiben. Die Zusammenarbeit mit dann doch genommenen Bewerbern sei durchweg negativ. Motivation, Einsatz oder Begeisterung für den Beruf seien Fehlanzeige: „Es kommen nie Nachfragen, es wird kein Fachartikel gelesen. Keiner brennt für seinen Beruf.“

Das sollten Zahnarztpatienten wissen

Eine solche Einstellung kann Mariia Lechner nicht verstehen. Sie hat in der Zahnarztpraxis Dr. Hansen in Nürtingen ihre Ausbildung gemacht – und ist geblieben: „Ich arbeite sehr gerne mit Menschen zusammen, und Medizin und medizinische Tätigkeiten haben mich schon immer interessiert.“ Sicher würde es auch längere Arbeitstage geben, doch dafür gebe es auch Freizeitausgleich und an anderen Tagen ab 13 oder 14 Uhr Feierabend. Der Beruf sei viel besser als die Vorstellung, die manche Leute davon hätten, meint auch Jennifer Ungureanu von der Zahnarztpraxis Dr. Neveling in Esslingen. Die Bezahlung etwa habe sich auch in der Ausbildung verbessert

Bewerber fehlen im Kreis Esslingen

Schwierig ist es trotzdem. Azubis rennen den Zahnarztpraxen nicht gerade die Tür ein. 2022 blieben im Kreis Esslingen 38 Ausbildungsstellen zu zahnmedizinischen Fachangestellten unbesetzt. 2023 waren es 26. Im Vorjahr 2024 kamen auf 159 Angebote gerade einmal 56 Bewerber, rechnet Markus Knorpp von der Esslinger Agentur für Arbeit vor. Bei den medizinischen Fachangestellten sieht es seinen Angaben zufolge etwas besser aus: 2024 konnten sich 102 Bewerber unter 135 Stellen umsehen, 2023 waren es 86 Bewerber auf 131 Stellen.

Die fehlende Beliebtheit des Berufs des zahnmedizinischen Fachangestellten kann Markus Knorpp nicht verstehen: „Es ist eine traumhafte Situation: Auf jeden Bewerber kommen fast immer drei gemeldete Ausbildungsstellen.“ Zahnmedizinische Fachangestellte arbeiteten meist in kleinen, familiären Teams, in denen sie rasch aufgenommen und gut unterstützt würden. Eine Übernahme nach der Ausbildung sei so gut wie sicher, der Schutz gegen Arbeitslosigkeit sei exzellent und Fortbildungsangebote gebe es auch: „Die Spanne reicht von Prophylaxe über die Röntgenmedizin bis hin zum kaufmännischen Praxismanagement.“

Feiern und Probleme

Feier
Die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg feiert ihr 70-jähriges Bestehen mit geladenen Gästen am Mittwoch, 16. April, mit einem Festakt im Alten Rathaus in Esslingen, dem Ort ihrer Gründung 1955. In seinem Grußwort spricht Thomas Strobl als stellvertretender Ministerpräsident von Baden-Württemberg über die Bedeutung der zahnmedizinischen Versorgung im Land.

Mangel
Der Fachkräftemangel ist auch landesweit ein Problem: „In Baden-Württemberg blieben im September 2024 in Summe 610 Ausbildungsstellen unbesetzt“, teilt die Landesärztekammer mit. Im Vorjahr seien aber 2656 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Die Abbrecherquote liege in Baden-Württemberg bei 22 bis 25 Prozent, doch auch hier schlügen Wechsel der Ausbildungsstätte zu Buche. 13 Prozent würden nach der Ausbildung dem Beruf den Rücken kehren. Die Gründe – unzureichender Verdienst, Wunsch nach einer anderen Ausbildung oder Belastungen durch den Arbeitsdruck.

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