Eine Maschine, die aussieht wie eine Giraffe, und ein Bauwerk, das „in Seitenlage“ errichtet wird: In Kornwestheim haben die Arbeiten an der maroden B 27-Brücke begonnen. Es ist ein riesiges und fast einzigartiges Projekt. Besuch auf der Baustelle.

Kornwestheim - Für viele Anwohner bedeutet die Großbaustelle Lärm und gesperrte Straßen. Mancher Autofahrer ärgert sich über die engeren Fahrbahnen. Für Tim Weirich ist der Neubau der B-27-Brücke in Kornwestheim ein technisch und organisatorisch hochinteressantes Projekt. „Hier ist alles sehr eng aufeinander abgestimmt“, sagt er. „Es ist sehr komplex.“ Es klingt, als hätte Weirich Freude an Komplexität.

 

Weirich, 36 Jahre jung, ist der Projektverantwortliche des Regierungspräsidiums Stuttgart für die Gumpenbachbrücke. Der Bauingenieur ist mindestens einmal in der Woche in Kornwestheim. Viel Zeit verbringt er dann in den großen Containern, die an der Mühlhäuser Straße stehen, hundert Meter westlich der Brücke und etwa zehn Meter tiefer. Dort bespricht er sich mit der Bauleitung und den Teamchefs der Firmen, fragt den Stand ab. Momentan sind drei Unternehmen im Einsatz. Es werden noch mehr.

Ein 21 Meter großer Bohrer

An diesem kühlen Morgen streift Weirich die orangefarbene Warnweste über und besichtigt die Baustelle. Lastwagen laden Erde, Arbeiter eilen umher und stellen Vermessungsgeräte auf. Weirich passiert Rohre, Leitungen, abmontierte Baggerschaufeln. Das sichtbarste Zeichen des Baufortschritts aber ist gelb-orange, sieht aus wie eine Mischung aus einem Bagger und einer gewaltigen Giraffe und steht oben gleich neben der Fahrbahn, über die weiterhin die Autos sausen.

21 Meter hoch ist der gewaltige Bohrer. Röhrend windet sich seine Spitze immer wieder in die Tiefe und befördert Schlamm und Erde nach oben. Am Steuer sitzt Ahmet Yürekli und lächelt. Seine Arbeit mache ihm Spaß, erzählt der 40-Jährige. Sein Job ist vermutlich der Traum vieler Kinder: Einmal so eine riesige Maschine steuern. Oft sehe er staunende Jungen, die das Gefährt anschauen. „Verstehe ich gut“, sagt Yürekli.

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Yürekli und seine Kollegen bohren Löcher für spezielle Stahlträger. Beton hält diese Träger, die Träger wiederum halten Holzbohlen. Dazwischen wird Erde aufgeschüttet verdichtet und Teer aufgebracht. Dieser Aufbau, der an zwei Stellen notwendig ist, dient in den kommenden Monaten als provisorische Verbindung zwischen der neuen Brücke und der B 27.

Denn das ist es, was den 27 Millionen Euro teuren Neubau der Gumpenbachbrücke – ein Projekt des Bundes – so besonders macht: eine Errichtung „unter Verkehr“. Die Gumpenbachbrücke ist rund 100 Meter lang und führt die Bundesstraße über ein Tal im Osten Kornwestheims. Eigentlich besteht sie aus zwei einzelnen Bauwerken, auf dem westlichen fahren die Autos nach Süden in Richtung Stuttgart, auf dem östlichen nach Norden gen Ludwigsburg.

Die Brücke muss verschoben werden

Zunächst wird nun die östliche Brücke neugebaut, in „Seitenlage“, wie die das die Experten nennen. Das bedeutet, dass sie ein Stück entfernt von ihrem späteren Standort errichtet wird. Auch über die Brücke in Seitenlage kann, verknüpft durch das Verbindungsstück, bereits Verkehr fließen. Sodann wird die Westbrücke abgerissen und neu gebaut. Dann erst reißen die Arbeiter die alte Ostbrücke ab.

Zum Schluss kommt Spezialtechnik zum Einsatz, über eine hydraulische „Verschubbahn“ wird die neue Ostbrücke langsam an ihren eigentlichen Bestimmungsort gebracht. „Dass ein Brückenbauwerk auf diese Weise verschoben wird, das passiert hier erst zum zweiten Mal deutschlandweit“, sagt Weirich. Dank dieser Technik sei es möglich, den Verkehr während der gesamten Bauzeit weiterfließen zu lassen. „Das war uns wichtig“, sagt der Ingenieur. Eine Vollsperrung hätte auch auf die Stadt Kornwestheim große Auswirkungen gehabt, die Kommune müsste eine Menge Umleitungsverkehr aushalten. Täglich rollen rund 50 000 Fahrzeuge über die Gumpenbachbrücke.

Weirich wechselt ein paar Worte mit Yürekli, dann zieht er weiter. Die 21 Meter hohe Maschine ist noch nicht einmal der größte Bohrer, der zum Einsatz kommen wird. Dieser Tage liefern Schwertransporte Maschinen an, die fünf Meter höher sind. Sie werden benötigt, um die 25 Meter tiefen Löcher für die Stützpfeiler der neuen Gumpenbachbrücke zu schaffen. „Hinein kommen Stahlstützen, dann Armierungsstahl, schließlich werden sie mit Beton aufgegossen“, sagt Weirich, der seinen Rundgang an diesem Tag fast beendet hat. „Es könnte etwas kälter und trockener sein“, meint er mit Blickt auf die anstehenden Bohrarbeiten.

Die Bevölkerung soll mitgenommen werden

Als er wieder unter der alten Brücke steht, berichtet er, wie spannend er selbst die Arbeit mit diesen großen Bauwerken findet. „Ursprünglich wollte ich einmal Architekt werden“, sagt er. Aber dann hätte er wohl zuviel am Schreibtisch gesessen und gezeichnet. Zum Regierungspräsidium kam er über einen Ingenieur vom Baureferat, der als Gastdozent an der Universität von seiner Arbeit berichtet und Weirich damit begeistert hat.

Er selbst beantwortet gerne Fragen. Heutzutage sei es besonders wichtig, die Bevölkerung bei einem solchen Projekt mitzunehmen, sagt er. Im Baubüro könne man denn auch jederzeit Fragen stellen. Es lohne sich aber selbstverständlich auch, die Bohrer im Einsatz zu beobachten. Dank ihrer Größe geht das auch aus einiger Entfernung zur Baustelle.