Wer bringt die Babys in Frankreich? Kurios: Der Nachwuchs wird dort nicht vom Storch gebracht, sondern wächst im Kohlkopf.

Katrin Jokic

Der Mythos, dass Babys aus Kohlköpfen geboren werden, ist in Frankreich tief in der Folklore verankert und hat seine Wurzeln in alten Traditionen und Ritualen, die mit Fruchtbarkeit und ländlichem Leben verbunden sind.

 

Der Kohl als Symbol der Fruchtbarkeit

Laut der Ethnologin Jocelyne Bonnet war der Kohl in bäuerlichen Gesellschaften ein weit verbreitetes Symbol für Fruchtbarkeit. In vielen ländlichen Gegenden Frankreichs wurde der große, robuste Kohlkopf als Zeichen für Fülle und Fruchtbarkeit betrachtet. George Sand beschreibt in ihrem Werk La Mare au Diable von 1846 ausführlich ein Fruchtbarkeitsritual aus der Region Berry, bei dem junge Ehepaare Kohlköpfe austauschten, die von den Familien beider Seiten geerntet wurden. Diese Riten, die den Kohl als Symbol für ein fruchtbares Eheleben nutzten, waren in vielen Teilen Frankreichs, Italiens und Osteuropas verbreitet.

Die Vorstellung, dass Babys direkt aus Kohlköpfen „geboren“ werden, ist wahrscheinlich eine spätere Weiterentwicklung dieser Fruchtbarkeitsrituale. Im 19. Jahrhundert etablierte sich dieser Mythos, insbesondere um neugierigen Kindern eine einfache Erklärung für die Herkunft von Babys zu bieten, ohne auf das Thema der sexuellen Fortpflanzung einzugehen. Diese Legende verbreitete sich in Frankreich, während in anderen Regionen, wie beispielsweise im Elsass nach der Annexion durch Deutschland 1871, die Storch-Erzählung populärer wurde.

Chou oder Rose: Geschlechterrollen in der Folklore

Eine interessante Variation dieses Mythos, die erst im 20. Jahrhundert aufkam, unterscheidet zwischen Babys, die aus Kohlköpfen kommen, und solchen, die aus Rosen geboren werden. Diese Unterscheidung wurde verwendet, um zwischen den Geschlechtern zu differenzieren: Jungen wurden aus Kohlköpfen „geboren“, während Mädchen aus Rosen kamen. Diese Variante spiegelt die sich entwickelnden Geschlechterstereotype wider, die in der Erziehung und Kultur auch für Kinder eine Rolle spielten.

Der Mythos in der Populärkultur

Wie der Storch-Mythos hat auch die Legende der Babys aus Kohlköpfen ihren Weg in die Populärkultur gefunden. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der Film La Fée aux Choux, der 1896 von Alice Guy, einer der ersten weiblichen Regisseurinnen, gedreht wurde. In diesem frühen Spielfilm zieht eine Fee, die in Menschengröße dargestellt wird, drei Neugeborene aus einem Kohlbeet und präsentiert sie dem Publikum.

In der modernen Kultur hat die australische Fotografin Anne Geddes diese Idee aufgegriffen und populär gemacht. Ihre Fotografien zeigen oft Babys, die in Gemüse oder, häufiger, in Blumen platziert sind, wobei Rosen und Kohlköpfe besonders oft vorkommen.

Eine zweifelhafte Herkunftserklärung

Manchmal wird versucht, den Ursprung dieses Mythos auf die griechische Mythologie zurückzuführen. Es wird behauptet, dass Klytaimnestra, die Frau von Agamemnon, ihre vier Kinder – drei Töchter in Rosenblätter und ihren Sohn in Kohlblätter – gewickelt habe, da sie keine Windeln zur Verfügung hatte. Diese Erklärung ist jedoch wahrscheinlich eine moderne Erfindung, da es keine klassischen Texte gibt, die dieses Ereignis erwähnen.

Insgesamt zeigt der Mythos der Babys aus Kohlköpfen, wie tief verwurzelte Symbole und Rituale einer Kultur im Laufe der Zeit in volkstümliche Erzählungen und schließlich in die Populärkultur übergehen können.