Die neue Leitung der Bachakademie Stuttgart stellt ihre Pläne für die Saison 2013/14 vor – und setzt neue Akzente.

Stuttgart - Nun sitzt er nicht mehr dabei. Nach 32 Jahren präsentiert Helmuth Rilling erstmals keine Saisonpläne, steht nicht für Fragen zur Verfügung. Der Phantomschmerz scheint bei einer Journalistin groß zu sein: Sie fragt nach der Rolle von Rilling bei all den Vorhaben und Plänen der Bachakademie Stuttgart, die heute präsentiert werden. Etwas verdattert sind da die Herren, die an diesem sonnigen Vormittag in eine Nach-Rilling-Zukunft blicken: sein Nachfolger als künstlerischer Leiter, Hans-Christoph Rademann, der Intendant Gernot Rehrl und der Dramaturg Michael Gassmann. Ist doch Helmuth Rilling bereits vor mehr als einem Jahr zurückgetreten und überhaupt nun die Stunde der zweiten Generation angebrochen.

 

Das sagt natürlich keiner. Ja, natürlich sei man in Kontakt, führe gute Gespräche mit Rilling, und er selbst wollte ja in dieser ersten Saison der neuen Leitung nur bei der festlichen Übergabe der Geschäfte am 24. August auftreten, ansonsten spräche man über Auftritte als Gastdirigent in der Saison 2014/15.

Die erste Saison ohne Rilling

Wie es werden wird ohne Rilling, weiß in Stadt und Land niemand; aber keiner stellt sich ernsthaft diese Frage, denn vom Podium kommt strahlender Tatendrang, die Gestaltungslust ist prall und der Spaß an der Aufgabe wirkt keinen Moment aufgesetzt – und das alles ohne Propaganda-Verklemmtheit. Ach, liefe doch gerade alles so gelöst in der Stuttgarter Kulturszene. Bemerkenswert ist, dass der Dirigent Hans-Christoph Rademann seine Funktion als künstlerischer Leiter voll ausschöpft. Bei allem Respekt für Rilling, so war in den vergangenen Jahren der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass es ihm genügte, wenn seine eigenen Projekte und Konzerte gut geplant waren. Ansonsten lag etwa die Programmatik des Musikfestes beim Intendanten. Jetzt scheint das Tandem wieder gleichrangig besetzt. Rademann weiß genau, welche Dirigenten und Solisten hier musizieren sollen, er setzt thematische Schwerpunkte und will doch nicht alles umkrempeln.

Und Gernot Rehrl schafft die Verbindungen, gibt dem Ganzen einen Bogen und schnürt dazu all die Pakete, ohne die es heute nicht geht unter dem Oberbegriff Marketing. Weswegen auch Armin Dellnitz, der Geschäftsführer von Stuttgart Marketing (früher hieß so etwas Tourismusbüro) das Podium ergänzt und sinngemäß sagt, dass es die Hoteliers freue, wenn attraktive Veranstaltungen wie das Musikfest der Bachakademie das Sommerferienloch stopfen.

Johann Sebastian Bach bleibt der Anker

Einiges ist dann natürlich doch neu, aber griffig und praktisch. Für alle Aktivitäten der Bachakademie gibt es nun ein Dach: ein modifiziertes Logo – das Orange wurde von etwas aggressiverem Rot verdrängt –, eine Terminbroschüre für alle Veranstaltungen, einen überholten Internetauftritt. Aus vier thematischen Bausteinen setzt sich die Arbeit zusammen: Musikfest, Saisonkonzerte, Akademien und Musikvermittlung. Das Gesicht der Akademie prägen die Konzerte sowohl während des Musikfests und in der Spielzeit 2013/14. Mit erstaunlichem Engagement stürzt sich Rademann in seine erste Saison, entsprechend hoch die Dichte seiner Auftritte. Schien der Dresdner vor einem Jahr noch etwas unsicher, was ihn hier erwarten würde, so wirkt die Freude, jetzt loszuschaffen, heute gänzlich ungebrochen. Der genaue Umzugstag steht noch nicht fest, aber im Juli bezieht er dann auch mit seiner Familie das neue Heim im Raum Stuttgart.

„Johann Sebastian Bach ist der Anker der Akademie und das soll er künftig bleiben“, sagt Rademann. Das erklärt die Präsenz von Bach in seinen Programmen und denen der Gäste. So werde beim Musikfest mit Ensembles aus den Niederlanden, Belgien, Tschechien und den eigenen aus Stuttgart die Frage ausgelotet, wie „Bach heute klingen kann“, so Rademann. Er selbst hofft, in den nächsten Jahren eine Antwort zu finden. Selbstbewusst fügt er hinzu: „Die Impulse für die Bachpflege sollen künftig von Stuttgart ausgehen.“

Neue Reihe

Innerhalb des Musikfests hält man wie in den vergangenen Jahren an manchen Weiterungen fest, mit denen das Programm Farbe bekommen soll: Sonnenaufgangskonzerte, Breakdance und Tanztheater (mit Katja Erdmann-Rajski), Konzerte zum Wein in der Kelter Uhlbach, Gesprächsveranstaltungen. Prominente Namen wurden gewonnen: Kent Nagano und Concerto Köln gastieren mit einer Uraufführung von Ulrich Kreppein sowie Mendelssohns fünfter Sinfonie, Jos van Immerseel und sein Ensemble Anima Eterna führen Bach-Kantaten bearbeitet von Brahms auf, der Pianist Igor Levit, das Artemis-Quartett, die Geigerin Carolin Widmann und das Hilliard Ensemble sind zu hören.

Rademann selbst bestreitet sein Antrittskonzert mit Händels Oratorium „Israel in Egypt“, er dirigiert die Erstaufführung einer kürzlich entdeckten Brahms-Bearbeitung der Bach-Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ und setzt einen Akzent beim Abschlusskonzert mit Werken von Strawinski, Schönberg und Frank Martin.

Am 24. August ist Stabübergabe

Dieser Termin ist gleichzeitig der Auftakt zu der neue Reihe „Sakral Modern“, in der Werke zwischen Kirche und Konzertsaal – häufig solche der klassischen Moderne – aufgeführt werden. Gastdirigenten sind Stéphane Denève und Lothar Zagrosek. Hier kooperiert die Bachakademie mit Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, das auch künftig in die Planungen von Rademann und der Gächinger Kantorei einbezogen wird, auch wenn der Dirigent verstärkt der historischen Aufführungspraxis einen Raum geben möchte. Gleichzeitig möchte Rademann die A-capella-Kultur der Gächinger weiter entwickeln, weswegen auch Schönbergs verflixt schweres Chorwerk „Friede auf Erden“ beim Abschlusskonzert aufgeführt wird.

Das hatte Helmuth Rilling im Dezember 2011, in Tagen der Krise, die zu seinem Rücktritt führte, auch im Programm, kombiniert mit Bach. Selbst bei Schönberg kann Rademann an die Arbeit seines Vorgängers anknüpfen. Das sollte beiden gefallen. Am 24. August ist Stabübergabe, mit einem Festkonzert und dem Bundespräsidenten.