An diesem Mittwoch starten die literarischen Schaukämpfe um den Bachmannpreis in Klagenfurt. Sie sind der wichtigste Wettbewerb für deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Doch dieses Mal ist alles anders.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - In diesem merkwürdigen Jahr ist vieles möglich, was man bis vor Kurzem noch kategorisch ausgeschlossen hätte. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass am Klagenfurter Wörthersee, wo alljährlich der wichtigste Wettbewerb für deutschsprachige Gegenwartsliteratur stattfindet, einmal im großen Stil gestreamt werden würde. Bisher hat man dort eisern der Goldstandard realer Präsenz gegen den virtuellen Strom der Zeit verteidigt. Noch vor einigen Jahren, als die Hamburger Autorin Karen Köhler wegen des Ausbruchs der Windpocken an der Reise nach Klagenfurt gehindert wurde, war die Sache für sie damit gelaufen. Zwingend schrieben die Statuten körperliche Anwesenheit vor. Was bei einer Veranstaltung, deren besonderer Reiz immer wieder auch in Anlehnung an Schlachtfeste oder ähnlich blutige Lustbarkeiten beschrieben wurde, auch nicht weiter erstaunt.

 

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Sieben Juroren benennen jeweils zwei Kandidaten; sie lesen um ihr literarisches Leben und werden anschließend nach allen Regeln der kritischen Kunst auseinandergenommen – wer überlebt, bekommt einen Preis und wird berühmt. So lässt sich zusammenfassen, was sich alljährlich in der kärntnerischen Geburtsstadt der Namenspatronin Ingeborg Bachmanns vollzieht, um der Wiederkehr des Immergleichen immer neue Geschichten abzugewinnen.

Ohne Endgeräte läuft nichts

Bachmannpreis – für die einen ist das ein Warnhinweis auf anstrengenden Büchern, für die anderen ein wichtiges Qualitätssiegel, und für viele weitere Spezialistenkram. Über die ersten beiden Positionen kann man streiten, über die dritte nicht. Denn das Wettlesen mag ein Spektakel vorwiegend für Literaturinteressierte sein. Aber auch diejenigen, die ihre Zeit statt hinter Büchern lieber vor Endgeräten aller Art verbringen, sollten wissen, dass der Prototyp aller Castingshows nicht in den Lotterbetten der Spaßgesellschaft, sondern 1977 in Klagenfurt gezeugt wurde, und zwar von dem Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki persönlich.

Doch ohne Endgeräte läuft in diesem Jahr auch hier nichts. Nachdem es kurzzeitig so aussah, als müsste der Bewerb, wie man in Österreich sagt, wegen der Virus-Krise ausfallen, findet er nun doch von diesem Mittwoch an statt, im geschützten digitalen Modus. Die 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind in jeder Hinsicht auf der sicheren Seite. Ihre Lesungen wurden im Vorhinein aufgezeichnet. Die Arena bleibt leer. Von ihrem Arbeitszimmer zuhause aus filetieren die sieben Juroren mit kritischem Besteck die ausgewählten Texte, in der Hoffnung, dass dabei für die Zuschauer an den Bildschirmen genug an intelligenten Gedankenhäppchen und schlauen Apercus abfallen werde, um sie bei der virtuellen Stange zu halten.

So kann die mit 80 Jahren älteste jemals eingeladene Teilnehmerin Helga Schubert also doch noch auf eine zweite Chance hoffen. 1980 sollte sie schon einmal in Klagenfurt lesen. Damals verhinderten nicht Windpocken, sondern ideologische Unverträglichkeiten ihre Teilnahme. Die DDR verweigerte der in Ostberlin lebenden Autorin die Ausreise. Dafür gehörte sie später einige Jahre selbst der Jury an, die nun über sie befinden soll. Helga Schubert kann auf ein umfangreiches bei großen Verlagen publiziertes Werk zurückblicken. Nun schaut sie nach vorn und will es noch einmal wissen.

Ähnliches könnte man auch von dem ungefähr halb so alten Matthias Senkel sagen. 2012 hat er hier schon einmal gelesen, vor zwei Jahren war er mit seinem Roman „Dunkle Zahlen“ über russische Computer-Pioniere ein heißer Anwärter für den Leipziger Buchpreis. Auch Jasmin Ramadan, ebenfalls aus Deutschland, hat mit ihrem im Stuttgarter Tropen Verlag erscheinenden Schreiben schon viel bewegt - unter anderem den Regisseur Fatih Akin zur Verfilmung ihres Debüts „Soul Kitchen“.

Literaturgericht, Freakshow, Märchenstunde

Neun Autorinnen, fünf Autoren bewerben sich um einen der fünf Preise. Aber mit besonderer Spannung sieht man der Eröffnungsrede von Sharon Dodua Otoo entgegen. 2016 hat die in Berlin lebende Britin, deren Eltern aus Ghana stammen, selbst den Bachmann-Preis gewonnen. „Dürfen Schwarze Blumen Malen“ hat sie ihre Rede überschrieben, von der man sich in der aktuellen Debattenlage ein starkes literaturpolitisches Signal versprechen darf. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Eröffnungsrede die intensivsten Eindrücke hinterlässt.

Wer einmal das dreitägige Wettlesen verfolgt hat, weiß wie qualvoll sich die 25 Minuten, die jeder der auserwählten Autoren lesen darf, in die Länge ziehen können und wie penetrant bisweilen die eitlen Sprachexerzitien der Juroren mehr an sich selbst als an den vorgetragenen Texten Gefallen zu finden scheinen. Und doch lässt sich hier auch immer wieder erfahren, dass anachronistisches Vorlesen und Zuhören um vieles reizvoller sein kann als der Exhibitionismus zeitgemäßer Nichtigkeiten.

Man wird sehen, ob die ins Netz verlegte Corona-Ausgabe diesem immer wieder totgesagten Spektakel aus Literaturgericht, Freakshow, Märchenstunde, Autorenbörse ein fälliges Update verpasst oder ihm seinen widerständigen Charme austreibt und damit den endgültigen Todesstoß versetzt. Es geht ums Ganze. Wie immer.

Info

Die Eröffnung des Wettbewerbs, alle Lesungen und Diskussionen sind auch als Live-Stream auf 3sat.de und unter bachmannpreis.orf.at mitzuerleben. Über die Social-Media-Kanäle facebook.com/Bachmannwettbewerb und twitter.com/tddlit können die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ mit Kommentaren, Bildern, News und Videos mitverfolgt werden. Der offizielle Hashtag lautet: tddl. Auch auf Instagram kann man die Veranstaltung verfolgen und so während des gesamten Wettbewerbs einen exklusiven Einblick hinter die Kulissen erhalten.