Die Stadt Backnang beantragt beim Landkreis den Sofortvollzug des Baus der geplanten Dämme, Wände und Wälle. Die Kommune befürchtet, dass andernfalls Klagen von Bürgern das Millionenprojekt lange verzögern könnten.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Die Backnanger Stadträte haben am Dienstag bis spät am Abend schier endlos diskutiert – und schlussendlich doch mit großer Mehrheit beschlossen, dass die Verwaltung beim Landratsamt den Sofortvollzug des Baus der projektierten Dämme, Wände und Wälle für den innerörtlichen Hochwasserschutz beantragt. Die Bauarbeiten, die zusammen rund acht Millionen Euro kosten dürften, sollen ganz schnell ausgeschrieben werden und möglichst bald beginnen.

 

Die Gegner, drei Stadträte vom Backnanger Bürgerforum, warnten vor dem Beschluss. Die Kommune mache sich womöglich strafbar, das jedenfalls erklärte der Fraktionsvorsitzende Alfred Bauer. Er behauptete, die Gutachten des beauftragten Expertenbüros sein „gefälscht“ worden. Die kompletten Planungen des Hochwasserschutzes stünden deshalb auf tönernen Füßen. Der Aufforderung von Oberbürgermeister Frank Nopper, „Ross und Reiter“ zu nennen, sprich klipp und klar zu erklären, wer was genau gefälscht habe, kam Bauer indes nicht nach.

Planfeststellungsbeschluss vermutlich im Herbst

Der Oberbürgermeister sagte mit Blick auf die verheerenden Überflutungen vom Januar 2011, dass der Hochwasserschutz der Innenstadt „uns allen ein zentrales Anliegen“ ist. Zum Gesamtkonzept des Wasserverbands Murrtal gehören unter anderem ein großes Rückhaltebecken bei Oppenweiler sowie innerörtliche Bauprojekte in Murrhardt, Sulzbach, Oppenweiler und Backnang. Sollte das Landratsamt den Sofortvollzug anordnen, dann hätten gerichtliche Klagen gegen die Bauprojekte, die die Stadt erwarte, keine aufschiebende Wirkung, so die Argumentation der Kommune. Ohne Anordnung eines Sofortvollzug könnten die Bauarbeiten wohl nicht beginnen.

Nopper sagte, „wer den Sofortvollzug ablehnt, muss den Innenstadtbewohnern erklären, warum er den für die Innenstadt so dringend benötigten Hochwasserschutz verzögern will“. Die Stadt erwarte, dass der sogenannte Planfeststellungsbeschluss, die Voraussetzung für den Baubeginn, im Herbst dieses Jahres gefällt wird. Vorher, vermutlich Ende September oder Anfang Oktober, muss noch eine Veranstaltung stattfinden, bei der alle Einwendungen der Kritiker erörtert werden.

Bis zu 1,40 Meter hohe Wänden sowie Wälle und Dämme

Konkret geht es in Backnang um den Bau von bis zu 1,40 Meter hohen Wänden sowie Wällen und Dämmen am Murrufer – fast im gesamten Stadtgebiet. Einige Bürger aus Backnang und aus den ebenfalls an der Murr gelegenen Gemeinden Burgstetten und Oppenweiler haben „Einwendungen grundsätzlicher Art“ beziehungsweise „Einwendungen aus privater Betroffenheit“ gegen den Hochwasserschutz gemacht. Sie befürchten, dass ihre Gebäude an der Murr wegen der Bauprojekte künftig stärker gefährdet sein könnten – beispielsweise, weil sich das aufgestaute Murrwasser andernorts ausbreitet.

Ein Backnanger Bürger kritisiert, dass sein Haus nicht ausreichend einbezogen worden sei in den Hochwasserschutz. Nopper indes sagte: „Wir nehmen die Einwendungen sehr ernst.“ Die Stadt habe nach „eingehender Prüfung“ mit Hilfe von Fachingenieuren und Gutachtern ermittelt, dass die Einwendungen nicht stichhaltig seien. Hans Bruss, der Leiter des Stadtbauamts, erklärte, er könne sich nicht vorstellen, dass vor Gericht „das Interesse einzelner“ höher gewichtet werde als das Allgemeinwohl.

Stadtrat Schwarze: „Die Zeit des Handelns ist gekommen“

Die große Mehrheit der Stadträte sieht die Sache offenkundig ähnlich wie der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Schwarze. Er sagte: „Die Zeit des Handelns ist gekommen.“ Das Restrisiko, dass ein Kläger doch recht bekommen könnte, müsse die Stadt in Kauf nehmen. Auch die Aussage eines der Kritiker, der im Gemeinderat reden durfte, beeindruckte die Mehrheit nicht. Andreas Brunold, früher selbst Stadtrat in Backnang, erklärte, die Daten der Hochwassergefahrenkarte, die dem Gutachten der Experten der Stadt zugrunde liegen, seien falsch. Ähnlich hatte der Besitzer der Rüflensmühle in Oppenweiler argumentiert, und den Verband bewogen, seine Kritik am Rückhaltebecken zu berücksichtigen und die Pläne zu ändern.

Schadensbilanz und Kosten

Murrhochwasser
Bei dem verheerenden Murrhochwasser am 13. Januar 2011 waren im Rems-Murr-Kreis laut Angaben des Landratsamts die Stadt Backnang sowie die Gemeinden Oppenweiler, Sulzbach, Burgstetten und Rudersberg am stärksten betroffen. Nach den damaligen Schätzungen sind allein im privaten Bereich Schäden in Höhe von mehr als sieben Millionen Euro entstanden. Im gewerblichen Bereich waren Schäden von rund 25 Millionen Euro entstanden.

Rückhaltebecken
Gegen den Bau des Hochwasserrückhaltebecken bei Oppenweiler hatte sich der Besitzer der Rüflensmühle vehement gewehrt. Schließlich hat der Wasserverband beschlossen, eine Beckenvariante zu bauen, die der Mühlenbesitzer favorisiert – was die Kosten für das Becken um 500 000 Euro in die Höhe getrieben hat. Insgesamt soll das Becken inklusive Grunderwerb nun acht Millionen Euro kosten. Hätten sich der Mühlenbesitzer und der Verband nicht geeinigt, es wäre vermutlich zu langen Verzögerungen gekommen.

Kommentar: Ein Restrisiko bleibt

Widerstand lohnt sich. Diese Erfahrung haben die Gegner des Wasserverbands Murrtal in Oppenweiler gemacht. Sie hatten sich erbittert gegen die Planungen für das Hochwasserrückhaltebecken am Ortsrand gewehrt – und schließlich Erfolg gehabt. Der Verband ist auf den Mühlenbesitzer zugegangen, die Pläne wurden so verändert, dass der Mann auch künftig seine Wasserkraftanlage betreiben kann. Und auch die Familie, deren Haus von den Schutzwällen nicht berücksichtigt worden war, hat sich durchgesetzt. Ihr wurde das Gebäude abgekauft.

Die Kritiker der Hochwasserschutzwälle in Backnang führen ähnliche Anhaltspunkte ins Feld wie die Bürger in Oppenweiler. Man kennt sich. Ein Hauptargument der Kritiker sind die angeblich falschen Daten in der Hochwassergefahrenkarte. Falls dieser Vorwurf vom Gericht anerkannt wird, hätte die Stadt Backnang vermutlich das Nachsehen. Ein Restrisiko also bleibt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Bauverzögerungen eintreten.

Selbst wenn der Kreis den Sofortvollzug der Bauarbeiten befürwortet – die Kläger könnten versuchen, die aufschiebende Wirkung vor Gericht zu erreichen. Es dürfte nicht sofort gebaut werden, niemand hätte etwas gewonnen. Eine außergerichtliche Einigung wäre der bessere Weg.