Die Biomüll-Vergärungsanlage in Neuschöntal gilt als Vorzeigebetrieb. Geht es nach der Landesregierung, soll es in einigen Jahren bis zu zehn weitere solcher Anlagen im Land geben

Backnang - Mit Vergärungsanlagen ist es ähnlich wie mit Windrädern: Fast jeder will Ökostrom, und doch will keiner die Anlagen, die zu seiner Erzeugung nötig sind, in seiner Umgebung haben. Lärm, Gestank und Lastwagenverkehr fürchten viele Anwohner. Im Juli ist deswegen eine Müllvergärungsanlage in Bietigheim-Bissingen per Bürgerentscheid abgelehnt worden. Dennoch will die grün-schwarze Landesregierung den Bau neuer Vergärungsanlagen vorantreiben. Der ehemalige Nabu-Landesvorsitzende Andre Baumann (Grüne), seit diesem Jahr Umwelt-Staatssekretär, hat im Rahmen seiner Sommertour einen Betrieb besucht, der bei vielen als Vorzeigeanlage gilt: Die Vergärungsanlage in Backnang-Neuschöntal.

 

„Auch bei uns gab es im Vorfeld kritische Nachfragen“, räumte Gerald Balthasar ein, der als Chef der Abfallwirtschaftsgesellschaft des Rems-Murr-Kreises (AWG) auch für die Vergärungsanlage zuständig ist. Gerade beim Verkehr waren die nicht ganz unberechtigt: 30 Lastwagen fahren die Anlage täglich an. „Als es noch keine gute Anbindung an die B 14 gab, mussten wir darauf achten, dass wir die Routen so verteilen, dass es einigermaßen erträglich war“, sagte Balthasar.

Der Gestank ist überraschend schwach

Der Geruch, darin waren sich alle Besucher einig, ist zwar in der Anlieferungshalle vorhanden, aber nicht so schlimm wie von vielen befürchtet. Baumann lobte: „Der Bioabfall fällt eben an, da sollte man ihn doch verwerten.“ In Neuschöntal geschieht genau das: Der Bioabfall des Rems-Murr-Kreises wird durch Fermentation, über Blockheizkraftwerke und Pressen zu Strom, Wärme und Dünger.

Der AWG-Chef Balthasar hat aber auch Grund zur Sorge, der Grund ist eine geplante Änderung der Düngeverordnung, die Ende des Jahres in Kraft treten soll. Sie erschwere es der Vergärungsanlage, ihren Dünger loszuwerden: „Wenn Landwirte künftig Flüssigdünger ausbringen, verlieren sie ihr Baden-Württemberg-Qualitätssiegel.“ Von strengeren Grenzwerten und längeren Sperrfristen sei auch Kompost betroffen – „obwohl das fachlich nicht korrekt ist, denn er gibt den Dünger über lange Zeit verteilt ab.“ Balthasar sieht einen Widerspruch dazu, dass die Landesregierung Vergärungsanlagen möglichst weit verbreiten will. „Das Ziel ist es, den Vergärungsanteil am Biomüll auf 80 Prozent zu steigern“, so Baumann. Doch dafür sind landesweit acht bis zehn weitere Anlagen wie jene in Backnang nötig. Baumann sieht Landkreise im ganzen Land in der Pflicht, Vergärungsanlagen zu ermöglichen. „Leider lassen sich manche dafür feiern, dass sie sich quer stellen“, sagte er, auch mit Blick auf den Bürgerentscheid in Bissingen.

Gratis-Kompost zum Abholen an den Deponien

Baumann wünschte sich, dass das Beispiel der Backnanger Anlage Schule mache und viele Besucher eine Duftprobe von überraschend frischen Luft in der Umgebung nehmen könnten. Die Mitarbeiter hier haben aber schon jetzt viel zu tun mit Besuchergruppen: „Immer wieder kommen Delegationen, aus der Region, aber auch aus Südamerika oder Osteuropa, die sich die Anlage ansehen“, erzählt Balthasar.

Ein weiteres Endprodukt aus der Anlage lässt sich nicht nur anfassen, sondern von Bürgern gratis mitnehmen: Reifekompost, der so nährstoffhaltig ist, dass er gestreckt werden muss, bevor Pflanzen hineingesetzt werden können. „Den können Sie an jeder Deponie des Kreises umsonst abholen“, erklärte Balthasar. Es gibt auch Vergärungsanlagen, die Erde selbst vertreiben und zu Geld machen. „Für Baumärkte wäre die von uns gelieferte Menge aber zu klein“, sagt Balthasar. Den Gärtnern in der Region kann das aber nur recht sein.

Fakten zur Anlage

Anlage
Seit fünf Jahren wird bei Neuschöntal Biomüll verwertet. Der Abfall wird zunächst gesiebt, geschreddert und entlüftet. Durch Fermentation entsteht dann Biogas, das zwei Blockheizkraftwerke speist. Diese liefern nicht nur Strom, sondern auch Wärme, die über eine Nahwärmeleitung in der benachbarten Klärschlammtrocknungsanlage eingesetzt wird und auf diese Weise Heizöl einspart.

Zahlen Die Vergärungsanlage Backnang-Schöntal nimmt pro Jahr rund 36 000 Tonnen Abfall an. Daraus entsteht in je 14 Tagen Gärzeit Biogas für die beiden 800-kWh-Blockheizkraftwerke. Diese liefern jährlich rund 10 Millionen Kilowattstunden Strom. Fast 90 Prozent davon werden eingespeist – das entspricht dem Jahresbedarf von bis zu 3000 Haushalten.