Der Historiker Achim Bonenschäfer hat sich intensiv mit der Geschichte der Mühlen beschäftigt und über seine Erkenntnisse im Muse-O gesprochen.

S Ost - Nur wenig deutet heute noch darauf hin, dass es in Stuttgart-Berg einst ein bedeutendes Mühlenviertel gegeben hat. Doch dort waren über Jahrhunderte hinweg kleine und große Mühlen zu finden, die den Mühlenstandort Berg laut dem Historiker Achim Bonenschäfer Ende des 18. Jahrhunderts „zu einer Brutstätte des Gewerbefleißes in der kommenden Zeit der Industrialisierung“ machte.

 

Der promovierte Historiker Bonenschäfer hat sich über Jahre hinweg intensiv mit der Geschichte der Stuttgarter Mühlen beschäftigt und die Ergebnisse seiner Forschung auch publiziert. Wer aber nicht in die wissenschaftlichen Tiefen vordringen, sondern sich zunächst einmal übersichtsmäßig über die Geschichte der Berger Mühlen informieren wollte, war bei einem Vortrag im Muse-O goldrichtig. Dort beleuchtete Bonenschäfer mehr als nur schlaglichtartig die Geschichte des einstigen Mühlviertels, das sich an einem Neckarkanal befand und Berg zeitweise zu einem beachtlichen Industriestandort machte.

Im 16. Jahrhundert gab es eine Schleifmühle

Denn nicht nur Sägemühlen waren dort, wie bereits Ende des 15. Jahrhunderts, zu finden. Die Maschinen der Berger Seidenfabrik, die von 1751 an auf sechs Stockwerken durch Wasserkraft angetrieben wurden, waren hier ebenso angesiedelt wie im 17. Jahrhundert die staatliche Münze, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Walkmühle wurde.

Von Mitte des 16. Jahrhunderts an gab es an der heutigen Poststraße eine Schleifmühle, in der nicht nur Waffen und Werkzeuge, sondern auch die Wengertermesser geschliffen wurden – ebenso für eine Zeit lang Edelsteine. Es gab einen staatlichen Kupferhammer, der mit zwei weiteren Anlagen in Tübingen und Freudenstadt das Kupfermonopol besaß, so dass alle württembergischen Kupferschmiede und Hafner von einer der drei Mühlen ihr Kupfer erwerben mussten. Auch eine Papiermühle war mit staatlicher Unterstützung im 17. Jahrhundert von einem Buchhändler in Berg errichtet worden. Weil sich diese Mühle laut Bonenschäfer aber bereits nach einigen Jahrzehnten als unrentabel erweis, wurde sie in eine Getreidemühle umgewandelt.

Die größten Werke waren die Vordere und Hintere Mühle

Ebenfalls mit Wasserkraft betrieben wurde in Berg eine Weißgerberwalke „eine Art Stampfe zur Bearbeitung von Tierhäuten“, so der Historiker. Obwohl das komplette Werk der Walke Mitte des 18. Jahrhunderts erneuert worden war, zogen sich laut Bonenschäfer die Pächter der Mühle zurück und begründeten dies mit den zunehmend schlechter gehenden Geschäften, „seit die Forstämter ihre Wildhäute anderwärts verkauften“ und immer weniger Tierhäute in Berg zu bearbeiten gewesen seien. Gipsmühlen wurden in Berg betrieben und sogar Sandmühlen hat es vor Ort gegeben, wie der Historiker und zweite Vorsitzende des Museumsvereins Muse-O-Trägervereins Ulrich Gohl in einem Zwischenruf erläuterte.

Dass er sich in den Vortrag einmischte, hatte freilich seinen Grund, wie Bonenschäfer erläuterte. Schließlich war dem ausgewiesenen Mühlenkenner die Existenz von in Berg betriebenen Sandmühlen bis kurz vor dem Vortrag unbekannt gewesen. Sollte es zu einer Neuauflage seiner Publikationen über Stuttgarter Mühlen kommen, würde dort aber auch die Geschichte der Sandmühlen ihren Niederschlag finden, wie der Historiker ausführte.

1836, als Berg nach Stuttgart eingemeindet wurde, waren in Berg an einem Nebenkanal eine ganze Reihe weiterer Mühlen zu finden, so eine Gewürzmühle, eine Blauholzstampfe zur Gewinnung von Färbemitteln, eine Tabakstampfe, eine Mosterei, eine Hanfreibe und eine Welschkornmühle. Die größten und ältesten Werke am Ort waren, so Ergebnisse von Bonenschäfers Forschung, aber über lange Zeit hinweg die Vordere und die Hintere Mühle. Während in der Hinteren Mühle, der ältesten Berger Mühle überhaupt, 1860 ein staatliches Pumpwerk eingerichtet wurde, wurde die Vordere Mühle – nachdem sie in der Folge eines Bombenangriffs nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut worden war – 1956 trotz Denkmalschutz abgerissen. Ein Torbogen im Lapidarium ist eines der letzten originalen Erinnerungsstücke, die es im öffentlichen Raum zu finden gibt.

Im 19. Jahrhundert wurde in Berg auch noch eine große sogenannte Kunstmühle für Getreidemüllerei errichtet, mit einem hohen Mechanisationsgrad und großer Kapazität. Doch die zu Beginn der Industrialisierung wirtschaftliche Mühle, die als Prunkstück des technischen Fortschritts im Müllergewerbe galt, musste nach nicht einmal 50 Jahren der Pumpstation des städtischen Wasserwerks weichen.

Interessant für viele Besucher des Vortrags: Auch die Bäder Bad Berg und das Leuzebad gehen auf Mühlen zurück. Wasser aus Bohrungen wurde zur Unterstützung der vorhandenen Wasserkraft eingesetzt – das dann von dem Fabrikanten Ludwig Friedrich Karl Leuze für die Speisung einer Badeanstalt genutzt wurde, die 1860 laut Bonenschäfer bereits 32 Kabinen und zwei Bassins umfasste.