Als Martin Gerspacher vor 36 Jahren das Forstrevier in Bad Boll übernahm, ahnte er nicht, dass er seine Traumstelle gefunden hatte. Er setzte sich für einen naturnahen Wald ein und war lange im Kreistag aktiv. Nun naht der Ruhestand.

Bad Boll - Ihn zu fragen, warum er Förster geworden ist, wäre vermessen. Er kann nicht anders. Seine Leidenschaft gehört dem Wald. Martin Gerspacher schlug, wie er es gewohnt zugespitzt formuliert, im September 1983 „mit der aufziehenden Diskussion über das Waldsterben“ im Bad Boller Forstrevier auf. Das ist 36 Jahre her. Im Januar hört er auf – in einer Zeit, in der erneut die Bäume sterben. Gerspacher wird im März 65 Jahre alt, die letzten fünf Monate seines Berufslebens wird er im Dienst der neu gegründeten Anstalt des öffentlichen Rechts Forst BW für den Staatswald in der Umgebung zuständig sein, nicht mehr für das Bad Boller Revier.

 

Ein beschauliches Försterleben im Stil der Fernsehserie „Forsthaus Falkenau“ war dem gebürtigen Schwarzwälder nicht beschieden. Dafür hat er zu viele Ecken und Kanten. 1986 trat er den Grünen im Kreis Göppingen bei und wurde mit viel Rückenwind in den Kreistag gewählt, wie er erzählt. Das brachte ihm so manchen Ärger ein, vor allem im Kreisparlament machte sich der argumentierfreudige Förster nicht nur Freunde. Legendär die Sitzungen, in denen er sich mit dem damaligen Landrat Franz Weber Gefechte lieferte. Ein Wort gab das andere. Am Schluss saßen beide mit zornesroten Köpfen da. Worum es ging? Zum Beispiel um das Reizthema Müllheizkraftwerk. Gerspacher protestiert. Er legt Wert auf die Bezeichnung Müllverbrennungsanlage. Noch immer.

Ein schwieriger Anfang

Eine Anekdote am Rande: Der Förster, der sich selbst als harmoniesüchtig bezeichnet, brachte den damaligen Landrat einmal so in Rage, dass dieser polterte, man müsse dessen Vorgesetzten fragen, wie so einer überhaupt Beamter sein könne. Ein paar Jahre später – nachdem das Forstamt im Jahr 2005 im Zug einer Reform der Kreisbehörde einverleibt worden war – hatte Weber selbst das Vergnügen, der Chef des widerspenstigen Försters zu sein. Schwierigkeiten habe es aber keine gegeben, sagt Gerspacher. Möglicherweise war das nur deshalb so, weil der Förster 2004 nicht noch einmal für den Kreistag kandidiert hatte. „Es brannte kein Feuer mehr in mir“, sagt er.

Die Politik blieb auch im Wald nicht außen vor – zwangsläufig. Sein Vorgänger hatte ihm fest versichert, dass man schon seit 30 Jahren einen Neubau der A 8 bei Aichelberg plane, aber da werde sowieso nichts draus. Da hatte sich der gute Mann jedoch geirrt. Schon ein Jahr nach Gerspachers Dienstantritt in Bad Boll ging es los. Martin Gerspacher fand sich plötzlich in der Rolle dessen wieder, der für die neue Autobahntrasse 35 Hektar Wald plattmachen musste. „Das war ein forstlicher Fehlstart“, meint er trocken.

Aber das war nur der Auftakt. Anfang der 90er Jahre begannen die Hänge unterhalb der Autobahn zu rutschen. 1983 begrub eine Schlammlawine den Teilort Eckwälden unter sich und richtete einen Millionenschaden an. Seite an Seite mit dem damaligen Bürgermeister Klaus Pavel kämpfte der Förster darum, dass das Gelände mit einem alpinen Hangverbau gesichert wird – ein zähes Unterfangen, weil die zuständigen Behörden nichts davon wissen wollten. Nach einem Termin im Wald, bei dem Gerspacher die Behördenvertreter aus Stuttgart durch ein Gelände führte, in dem die Bäume wie die Stäbe eines Mikadospiels kreuz und quer in dem tiefen morastigen Boden steckten, brachte den Durchbruch. Der Hangverbau wurde bewilligt, die Kosten in Höhe von zehn Millionen Euro übernahm der Bund. Lange blieb es nicht ruhig im Bad Boller Wald, da dräute im Gefolge von Stuttgart 21 der Bau der Bahntrasse nach Ulm. Wieder mussten Bäume weichen.

In Bad Boll die Traumstelle gefunden

„Das war alles andere als ein idyllisches Försterleben“, zieht Gerspacher Bilanz. Aber er beklagt sich nicht. „Ich habe immer die Herausforderung gesucht.“ Im Rückblick wundert er sich, wie er alles bewältigen konnte, vor allem in den wilden 90ern. „Ein voller Job, das politische Ehrenamt, die Geburt meiner Tochter Luisa – das war meine anstrengendste Zeit, die Nächte waren kurz“, erzählt er.

Wenn er nun in Bad Boll aufhört, hinterlässt er nicht nur mit dem Wildbachverbau unterhalb der A 8 Spuren. Er hat auch eine Wildobstplantage gepflanzt und den Naturpfad Sinneswandel initiiert, außerdem den Forst-Stützpunkt geleitet und vor allem durch seine unermüdliche Informationspolitik den Wald ins Gespräch gebracht.

Als er einst nach Bad Boll kam, sollte es nur für kurze Zeit sein. Doch irgendwann stellte er fest, dass er in dem Ort seine Traumstelle gefunden hatte. „Bad Boll ist ein absoluter Glücksgriff, man hat mich mit offenen Armen empfangen“, sagt er. Deshalb will er am Albtrauf bleiben und auch in Zukunft Waldführungen anbieten. Engagieren will er sich darüber hinaus im Dorfladen, den eine Genossenschaft im Januar eröffnet. „Ich bin Gründungsmitglied, ich hätte nie gedacht, dass ich noch Genosse werde“, witzelt der überzeugte Grüne. Und dann will er endlich mal keine Pläne machen und jeden Morgen ausschlafen. „Ich war ja 49 Jahre lang gezwungen, um 5.30 Uhr aufzustehen.“