Die neue Psychiatrie in Bad Cannstatt will sich als offenes, freundliches Haus präsentieren. Aber es gibt Probleme: Nach einer Patientenattacke wird nun das Glas auf zwei Stationen ausgetauscht, auch die Fenster machen Probleme.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Die Attacke eines Patienten auf Mitarbeiter in der Psychiatrie ist mehr als eine Woche her, aber die Aufregung unter den Bediensteten hat sich noch nicht gelegt. Mitarbeiter der neuen Psychiatrie in Bad Cannstatt äußern sich gegenüber der Stuttgarter Zeitung tief verunsichert: „So etwas darf nicht passieren, wir befinden uns in akuter Lebensgefahr“, sagt eine Pflegekraft, die anonym bleiben will.

 

Ein 22-jähriger Patient hatte die Scheibe einer Zwischentür auf einer Akutstation eingetreten und war mit einer etwa 50 Zentimeter langen Glasscherbe auf die Bediensteten losgegangen. Erst als ein Polizeibeamter ihm in den Ellenbogen schoss, war der völlig verwirrte Mann außer Gefecht gesetzt. Die betroffenen Bediensteten seien traumatisiert, heißt es nun.

Falsches Glas eingebaut

Am alten Standort im Bürgerhospital wäre es dazu nicht gekommen, ist sich die Pflegekraft sicher. Dort hätten die Glasscheiben aus Sicherheitsglas bestanden. Dass dies auch im erst im März bezogenen neuen Zentrum für seelische Gesundheit in Bad Cannstatt der Fall sein würde, sei für alle eine Selbstverständlichkeit gewesen. Auch der Zentrumsleiter und Ärztliche Direktor Martin Bürgy war bisher davon ausgegangen, dass die Scheiben auf den Akutstationen mit Sicherheitsverbundglas ausgestattet sind. Doch dem ist nicht so.

Die Psychiatrie selbst sei kein Gefängnis, betont Bürgy. Die meisten Stationen seien offen und mit „normalen Wohnräumen“ ausgestattet. Etwas anders sei die Situation auf den zwei Akutstationen. Auf die Station P1a kommen vorwiegend Patienten, die unter Wahnvorstellungen leiden – und diese müssen davor geschützt werden, sich selbst (und anderen) etwas anzutun. „Auf Akutstationen brauchen Sie besondere Sicherheitsstandards“, sagt Bürgy. Sicherheitsglas gehöre dazu.

Erst durch den Vorfall sei aufgefallen, dass das falsche Glas eingebaut wurde. Gleich nach dem Angriff seien die Scheiben mit einer Spezialfolie gesichert worden. Diese sorgt dafür, dass die Scheibe, sollte sie zerschlagen werden, in kleinste Einzelteile zerfällt. Diese Scherben lassen sich nicht als Waffe missbrauchen. Bis Mitte Januar, kündigt Bürgy an, sollen die Scheiben komplett ausgetauscht werden – nicht nur jene der Türen, sondern auch die des Stationsstützpunkts. „Dort kommt Sicherheitsverbundglas rein“, sagt der Zentrumsleiter. Ob die Rechnung an den Generalunternehmer geht, der den Neubau erstellt hat, ist noch unklar. Zunächst werden die Kosten aus Eigenmitteln bestritten. „Die Haftungsfrage muss geklärt werden“, sagt Bürgy.

„Offene, freundliche Psychiatrie“

Der Ärztliche Direktor weist zudem darauf hin, dass die Mitarbeiter nach der Attacke professionell betreut worden seien. Zudem liege ein Konzept beim Personalrat zur Einrichtung eines Krisenteams, an das sich die Pflegekräfte wenden können.

Martin Bürgy ist froh über den Neubau. Die Umgebung sei im Vergleich zum Bürgerhospital „ein Unterschied wie Tag und Nacht“. Doch inzwischen hätten sich „entscheidende Mängel“ gezeigt, sagt Bürgy. Die Treppenhäuser seien als Erstes mit Netzen nachgerüstet worden. Und neben den Scheiben gibt es eine weitere Baustelle, auf der im Januar etwas passieren soll: die Fenster auf den Akutstationen.

Bürgy bestätigt Angaben von Mitarbeiterseite, dass in den vergangenen zwei Monaten drei Patienten durch die Fenster geflohen sind. Eigentlich lassen sich die Fenster nur kippen, aber ein Patient (ein Ingenieur) fand heraus, dass sich die Fenster leicht aushebeln lassen. Er war der erste Flüchtige. Zur Fahndung sei es nicht gekommen, weil der Patient ohnehin nur für eine Nacht hätte da sein sollen, so Bürgy. Beim ersten Nachahmer missglückte der Fluchtversuch: Er zog sich bei dem Sprung aus sechs Meter Höhe so schwere Verletzungen zu, dass er für eine Nacht auf die Intensivstation kam. „Der Patient ist wieder gesund“, berichtet Bürgy erleichtert. Der dritte Fall ereignete sich am 25. Dezember. Der Nachtdienst bemerkte um 5 Uhr, dass ein Patient fehlte. Inzwischen ist er zwar wieder da, das Problem bleibt aber auch.

Im Bürgerhospital waren die Fenster mit Schlössern ausgestattet. Nur Bedienstete hatten einen Schlüssel. Um die Fenster im neuen Zentrum zu sichern, soll laut Bürgy ein Querbalken eingezogen werden. Er soll das Aushebeln unmöglich machen – und doch nicht nach Einsperren aussehen. Denn eines stellt die Sprecherin des Klinikums, Ulrike Fischer, klar: „Wir wollen eine offene, freundliche Psychiatrie.“