Baden-Baden sind die Gäste aus Russland abhanden gekommen. Die Touristiker der Stadt beteuern, dass dieser Verlust von Besuchern aus dem arabischen Raum aufgewogen wird. Insgeheim aber hoffen Händler und Hoteliers, dass die Ukraine-Krise bald gelöst wird.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Baden-Baden - Baden-Baden, ein trüber Wintertag. Ein beharrlicher feiner Regen hüllt das Festspielhaus in graue Schleier, die Morgennachrichten streifen den weiteren Verfall des Rubels und der Aktienkurse an der russischen Börse. Früher oder später wird die Sonne an diesem begüterten Flecken Deutschlands wieder scheinen, aber wann die vermögenden Touristen aus Moskau wieder kommen, das weiß keiner genau. Sie mache sich keine Sorgen, „es kommen andere Gäste“, sagt tapfer die russischstämmige Geschäftsführerin eines Porzellangeschäfts in den noblen Kollonaden der Kaiserallee. Glücklich sieht sie dabei nicht aus. Die „Stimmung“ in der Stadt habe sich unangenehm verändert. Viele der in Baden-Baden lebenden Russen spürten jetzt den Druck, sich in Gesprächen mit Kunden oder auch Nachbarn erklären zu müssen: „Bist du für Putin oder gegen ihn?“

 

Die Ukraine-Krise und der Verfall der russischen Währung, der den Wechselkurs zum Euro dramatisch verschlechtert hat, hält zwar immer mehr Stammtouristen ab, schadet Baden-Baden aber nicht nachhaltig. Das sagt auch die Leiterin des Tourismusbüros, Brigitte Goertz-Meissner. Zugleich meldet sie alarmierende Zahlen. Von Januar bis September 2014 sei die Zahl der Übernachtungen russischer und ukrainischer Gäste um 10 000 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum zurückgegangen. 2013 wurden insgesamt gut 80 000 Übernachtungen dieser Klientel verzeichnet. Der Rückgang, sagt die Tourismuschefin, werde aber durch den Zuwachs anderer Gäste wieder aufgefangen.

Das Wort Krise möchte keiner in den Mund nehmen

Das Wort Krise soll in Baden-Baden, der aufgrund ihrer Geschichte russischsten Stadt Deutschlands, peinlich vermieden werden, und alle Spieler im örtlichen Tourismusgeschäft, so scheint es, machen mit. Ann-Katrin Schwemmle, die Direktorin des Atlantic Parkhotels, hält die Spannungen zwischen Russland und dem Westen für „eine kurzfristige Sache“. Sie sagt: „Es wird immer Leute geben, die es sich leisten können, nach Baden-Baden zu fahren.“

Bis zum Zweiten Weltkrieg trug das Hotel den Namen „d’Angleterre“, der knarzende Parkettboden aus vorigen Jahrhunderten ist immer noch da, und auch das Ölporträt des Zaren Alexander II, der hier nebst adligem Gefolge logierte. Im Rauchersalon sitzt vor prasselndem Kaminfeuer Renate Effern, Vorsitzende der Turgenev-Gesellschaft und des Baden-Badener Förderkreises Russisches Haus. „Ich gehöre in das Lager der so genannten Putin-Versteher“, sagt sie mit Nachdruck. Was sie in der Tagespresse über Russland und die Ukraine liest, hält sie für „extrem tendenziös“. Sie ärgert sich über die vielen harten Urteile und halb ausgegorenen Meinungen über Russland, die jetzt so viele Leute bei der Hand hätten. „Wer hat denn wirklich eine Ahnung von der Ukraine?“ fragt sie.

Manche Russen kaufen jetzt auch Lebensmittel

Renate Effern ist weit mehr als eine Vereinsfunktionärin, sie ist die Markenbotschafterin der Stadt bei der wichtigsten touristischen Klientel seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Seit Öffnung der Grenzen und dem Zuzug vieler reicher Russen, die sich auch gleich eine Immobilie erwarben, ging es mit den Preisen in der Kurstadt steil nach oben. Rund 150 Stadtführungen leitet die Literaturfreundin jedes Jahr, hat nebenbei einen russischsprachigen Führer herausgegeben. Unterwegs erzählt sie ihren Gruppen von den Aufenthalten Turgenevs und Tolstois, Gogols und Dostojewskis in der Stadt, zeigt ihnen das Casino im historischen Kurhaus, berichtet vom Funktionieren der Städtepartnerschaften sowohl zu Jalta als auch Sotschi. Weil die Krim-Stadt Jalta inzwischen als fest zu Russland gehörend wahrgenommen werde, gebe es kommunalpolitische Forderungen, eine der beiden Städtepartnerschaften zu beenden, berichtet Renate Effern empört. „Das kann doch nicht wahr sein.“

Am Vormittag hat sie eine Führung mit einer Gruppe russischer Reiseveranstalter beendet. Der Optimismus auf weitere gute Geschäfte sei ungebrochen, erzählt sie. Und doch sei diesmal etwas anders gewesen. Zum ersten Mal hätten sich die Gäste nach einem Lebensmittelgeschäft vor Ort erkundigt, um vor ihrer Rückreise einzukaufen. Immer mehr westliche Markenartikel seien in Moskau nicht mehr erhältlich.

Araber kaufen anders ein als Moskauer

Ob es Baden-Baden wirklich gelingt, die Verluste aus dem Touristengeschäft nachhaltig zu kompensieren, wird sich bald zeigen. Die anderen Gäste, deren Zustrom die Tourismuschefin, die Boutiquenbesitzer und Hotelbetreiber beschwören wie ein Mantra, sollen Araber sein. Man sehe wirklich viele von ihnen in der Stadt und auf den Parkplätzen der Kur- und Schönheitskliniken, sagt Renate Effern. „Aber die Araber kaufen anders ein als die Moskauer“. Wenn einem Russen Socken gefielen, besorge er sich auf der Stelle 20 Paar davon. Auch die russischen Trinkgelder seien legendär.

Von Trinkgeldern schweigt Thomas Schindler, der Direktor der Spielbank Baden-Baden. In den meterhohen historischen Räumen des Casinos tummeln sich an diesem Nachmittag nur ein paar Gäste der Generation 50 plus. Das Glücksspielgeschäft beruht auf Diskretion, nur so viel will der Chef verraten, dass die Russen unter den gut 200 000 Besuchern jährlich „ein wichtiger Faktor“ seien. Der Verlust sei schon spürbar. „Wir hoffen, dass sich das wieder einrenkt.“ Die meisten Spieler kämen jedoch aus Deutschland, man habe zum Ende des Jahres das Niveau zum Vorjahr halten können.

„So ein Casino funktioniert wie ein Kreuzfahrtdampfer“

Die wichtigsten Croupiers des Hauses sprechen fließend russisch, das hat Tradition. Im goldgetäfelten, mit großformatigen Wandbildern geschmückten Florentiner Saal des Casinos, wo heute die Spieltische stehen, hing im vorigen Jahrhundert eine riesige Muschel unter der Decke. In ihr wurde bei festlichen Anlässen ein kleines Orchester heruntergelassen und spielte zur Erheiterung der betuchten Gäste zum Tanz auf. Schon immer war Baden-Baden ein Ort jenseits des Alltags gewesen.

Das müsse unter allen Umständen so bleiben, sagt Direktor Schindler, das sei die Zukunft der Spielbank. Vor kurzem ist ein neuer, durchgestylter Nachtklub angebaut worden, in dem am Wochenende internationale DJ’s Platten auflegen. „So ein Casino funktioniert wie ein Kreuzfahrtdampfer. Es muss alles da sein und funktionieren.“

Russische, polnische und rumänische Lebensmittel

Ein wenig außerhalb des Zentrums, in der Lichtentaler Straße, nahe der russisch-orthodoxen Kirche, sucht Anna Heidt einen anderen Zugang zur russischen Kundschaft. Sie spricht Grundbedürfnisse an. Mitte Dezember hat die 31-Jährige zusammen mit einer Geschäftspartnerin einen Supermarkt eröffnet, der ausschließlich russische, polnische und rumänische Lebensmittel anbietet. Die Automobilkauffrau hofft auf das Interesse Tausender in Baden-Baden lebender russischstämmiger Einwohner, kalkuliert aber auch das Touristengeschäft ein. „Was gegessen wird, ist schon immer gelaufen“, sagt sie.

Und wenn die Touristen auf unabsehbare Zeit nicht mehr kommen? Da lacht sie. „Das ist ein großes Risiko. Aber, wie man bei uns sagt: Wer nicht wagt, trinkt keinen Champagner.“ Noch ist Leben in Baden-Baden.